Bild nicht mehr verfügbar.

Sven-Eric Bechtolf ist es leid, über Geld zu reden. Er freut sich auf Katie Mitchells "Forbidden Zone" und darüber, dass Georg Schmiedleitner "Die letzten Tage der Menschheit" inszeniert.

Foto: APA/BARBARA GINDL

STANDARD: In Ihrem ersten Salzburg-Jahr 2012 sagten Sie, ginge Alexander Pereira, würden Sie ihm folgen. Nun geht er. Sie bleiben. Warum der Sinneswandel?

Sven-Eric Bechtolf: Das bezog sich auf einen eventuellen Weggang Alexander Pereiras im Zwist mit dem Kuratorium. Da hätte ich solidarisch sein wollen und müssen. Nun geht er aber nach Mailand, und eine doppelte Beschäftigung verbietet sein Vertrag. Immerhin kann ich hier Dinge, die er vorbereitet hat, zu einem guten Teil jedenfalls, retten. Ich habe, das können Sie mir glauben, mich nicht darum gerissen und lange überlegt, weil ich dachte: "Oje, was wirst du wieder gehauen werden?!" Diese zwei Jahre mache ich aus einem gewissen Pflichtgefühl heraus – nicht weil ich Kür tanzen will.

STANDARD: Kommt Ihnen in diesen zwei Interimsintendantenjahren zugute, dass Sie sich auch in der Oper gut auskennen?

Bechtolf: Ich habe nicht vor, in naher Zukunft die Intendanz eines Opernhauses zu übernehmen, aber wir haben hervorragende Mitarbeiter, mit denen zusammen ich unser Programm gut vorbereiten kann. Ich leite ja auch weiterhin die Abteilung Schauspiel, da bin ich auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Abteilungen Oper und Konzert angewiesen.

STANDARD: Was reizt Sie an der Regie von "Don Giovanni"? Es gab ja vor nicht allzu langer Zeit eine sehr gute Inszenierung von Claus Guth in Salzburg.

Bechtolf: Ich glaube, dass Don Giovanni keine "realistische" beziehungsweise psychologisch ergründbare Figur ist. Er ist emblematisch zu begreifen. Er repräsentiert die unerfüllbare Begierde, die rücksichtslos und anarchistisch ihre Wünsche zu erfüllen sucht. Dagegen steht der Komtur als Repräsentant einer Welt der Ordnung, der Väter, der Richter, Polizisten, Lehrer und Priester. Zwischen diesen Antagonisten bewegen sich die übrigen Figuren und versuchen auf komische und tragische Weise den unabweisbaren und völlig widersprüchlichen Forderungen beider Kontrahenten zu genügen. Wäre Giovanni eine psychologische Figur, angekränkelt und gebrochen, verdiente er allenfalls unser forensisches Interesse.

STANDARD: Als Schauspielchef sprachen Sie sich immer gegen ein Motto aus ...

Bechtolf: ... aber ich habe im Hinterkopf doch immer ein Generalthema gehabt, es nur nie laut verkündet. Diese Themen sind wie Wasserzeichen ins Programm eingeschöpft. Man braucht eine Art von Verbindung, und wenn man Glück hat, entdeckt sie das Publikum intuitiv. Ich war nur nie ein Anhänger von Überschriften, bei denen nicht ganz passende Programmpunkte nach dem Motto "Was übersteht, wird abgesägt" unter einen Hut gequetscht werden müssen. Zudem hat das etwas sehr Didaktisches – und das liegt mir nicht so sehr.

STANDARD: Heuer gibt es jedenfalls ein deklariertes Generalthema, den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Ist nicht gerade bei einem historischen Thema die Gefahr der Didaktik besonders groß?

Bechtolf: Der Erste Weltkrieg hat ja tatsächlich vor hundert Jahren stattgefunden. Das ist nicht meine Erfindung, und nicht daran zu erinnern käme mir seltsam vor. Außerdem kommen wir nicht einheitlich in Feldgrau daher und verbringen den Sommer in Schützengräben, sondern zeigen eine Vielfalt unterschiedlichster Themen, die von unterschiedlichsten Künstlern behandelt werden. Ein Volkshochschulkurs wird das hoffentlich nicht.

STANDARD: Warum lassen Sie "Die letzten Tage der Menschheit" im kleinen Landestheater spielen und nicht auf der Perner Insel, die ungleich spannender wäre?

Bechtolf: Dafür gibt es technische und inhaltliche Gründe. Die Bühne muss mit der des Koproduktionspartners kompatibel sein. Landestheater und Burg haben zwar nicht die gleiche Portalbreite, aber annähernd die gleiche Tiefe. Das Burgtheater braucht Drehbühne und Züge, das müsste auf der Perner Insel teuer installiert werden. Außerdem wollte ich das zentrale Projekt mitten in der Stadt haben.

STANDARD: Ursprünglich hätte Ex-Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann inszenieren sollen. Wie schwierig war es, dass Ihnen mitten in der Vorbereitungszeit der Regisseur abhandenkam?

Bechtolf: Ich bin froh, dass Georg Schmiedleitner bereit war, in diesem Irrsinn einzuspringen. Er hat etwas Berserkerhaftes – und das braucht man in so einer Situation auch. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn einem so etwas plötzlich zufällt und man nicht zwei Jahre Zeit hat, sich vorzubereiten, denn dann kann man auch verzweifeln. Vielleicht braucht es gerade so eine krude Situation und einen auch aus der Not geborenen Zugriff auf das Stück; der ist dann vielleicht deutlicher und klarer – und vielleicht auch wagemutiger.

STANDARD: Wie aufwendig ist Katie Mitchells "Forbidden Zone"?

Bechtolf: Das ist eine meiner Lieblingsproduktionen – und exemplarisch dafür, wie ich das Generalthema behandelt sehen möchte, nämlich über seinen Anlass hinausweisend: Katie hat sich einen Stoff gesucht, der sich explizit mit Frauen auseinandersetzt; und sie schlägt den Bogen vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg, von der jüdischen Chemikerin Clara Immerwahr, die sich 1915 an dem Tag erschießt, als ihr Mann, der Nobelpreisträger Fritz Haber, für den Einsatz des von ihm entwickelten Chlorgases ausgezeichnet wird, bis hin zu ihrer Enkelin Claire Haber. Als Chemikerin forscht sie nach einem Mittel gegen Chemiewaffen, und als sie im Zuge ihrer Recherchen herausfindet, dass ihr Großvater Zyklon A mitentwickelt hat, aus dem später Zyklon B wurde, begeht sie ebenfalls Suizid. Katie hat einen klugen Weg gefunden, von diesem Grauen zu erzählen – auf Deutsch und auf Englisch, mit wechselseitiger Untertitelung.

STANDARD: Wie riskant ist diese Zweisprachigkeit bei einem vielleicht doch etwas konservativeren Festspielpublikum?

Bechtolf: Wir müssen daran arbeiten, dass fremdsprachige Stücke eine Selbstverständlichkeit werden. Wir können uns ja nicht immer nur an unserem heimischen Kochtopf aufhalten. Ich finde Katies Verschränkung von Film- und Bühnengeschehen höchst spannend. Das Theater ist ja auch deshalb bedeutend, weil es unsere Wirklichkeitswahrnehmung befragt – ob beabsichtigt oder nicht. Das Publikum weiß ja, dass es sich um Theater handelt, und reagiert dennoch emphatisch. Und zwar völlig unabhängig vom Grad der Realität auf der Bühne. Im Gegenteil – ein zu hoher Grad an Realismus kann auch die Illusionsbereitschaft auflösen. Damit spielt Katie Mitchell virtuos. Man sieht eine Großaufnahme, man sieht aber auch zugleich die Schauspieler und das Kamerateam. Herstellung und Darstellung werden transparent gemacht, und die Glaubhaftigkeit erhöht sich trotzdem oder gerade dadurch.

STANDARD: Zuletzt gerieten Mitchell, vor allem aber Ex-Burgchef Hartmann wegen der hohen Produktionskosten im Kasino am Schwarzenbergplatz in die Kritik. Befürchten Sie eine derartige Diskussion für Salzburg auch?

Bechtolf: Wenn man eine solche Produktion mit einem Partner macht – wie wir mit der Berliner Schaubühne –, wird sie auch finanzierbar.

STANDARD: Beim Young Directors Award (YDP) ist Ihnen der Partner, Montblanc, abhandengekommen. Schmerzt das Aus nach 13 Jahren?

Bechtolf: Ja, das ist traurig. Ich fand die Fehlerhaftigkeit des YDP schön, es hätte noch ergebnisunabhängiger sein können. Das Unfertige, Schiefe und Schräge war eine gute Kontrastfarbe zum Festspielprogramm. Das YDP, aber auch das Young Singers Project, sind derzeit sponsorenlos. So prosaisch muss man das leider sagen: Solche Projekte kann man nur mit Sponsoren realisieren, denn sie kosten sehr viel Geld. Achtzig Prozent unseres Budgets finanzieren wir über unseren Kartenverkauf und Zuwendungen von Sponsoren – nur zwanzig Prozent erhalten wir von der öffentlichen Hand. Bei allen anderen Kulturinstitutionen ist dieses Verhältnis umgekehrt.

STANDARD: In Ihrem ersten Jahr werden Sie zweieinhalb Millionen Euro mehr Subvention bekommen. Reicht das?

Bechtolf: Ich hoffe. Aber ich bin diese Gelddebatte schon etwas leid. Oft werde ich gefragt: Was leistet die Kunst eigentlich im Gegenzug? Aber Kunst leistet nichts. Wir entziehen uns den Nützlichkeitserwägungen. In den Augen braver Wirtschafter vernichten wir Geld. In Wahrheit findet aber eine Umwidmung des Geldes vom Unwesentlichen zum Wesentlichen statt. Denn erstaunlicherweise ist Kunst ja das, was unser Leben, ohne pathetisch werden zu wollen, erträglich und wesentlich macht. Peter von Matt hat in seiner Eröffnungsrede 2012 gesagt, Festspiele müssten in großen Schwüngen das Geld zum Fenster hinauswerfen. So würde ich es nicht formulieren. Aber die Bereitschaft zur ökonomischen Unvernunft ist die eigentliche Kulturleistung einer Gesellschaft.

STANDARD: Wie beurteilen Sie unter diesem Aspekt die Krise rund um die Burg?

Bechtolf: Ich rede ungern darüber und will es auch weiter so halten. Das Anprangern, die Aufheizung, die Art der Berichterstattung fand ich übel. Denn am Anfang war die Not, nicht das Vergehen. Natürlich muss man mit Steuergeld sorgsam umgehen. Aber man muss doch auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass das Burgtheater chronisch unterfinanziert ist. Wir reden doch, verglichen mit den Milliarden, die anderswo versenkt werden, von vergleichsweise bescheidenen Forderungen. Deshalb hat es mich auch geärgert, wenn man von der Burgkrise als Chance für einen Umbau gesprochen hat. Umbau und Neubeginn zu was?

STANDARD: Umschichtung von den großen, elitären Kulturtankern zu kleinen, partizipativen Projekten?

Bechtolf: Unsere Arbeit ist elitär. Allein, dieses Wort darf heute natürlich nicht mehr verwendet werden. Aber selbstverständlich haben wir elitäre Ausbildungsstrukturen, die zu elitären Ergebnissen führen: Große Künstler brauchen große Lehrer und exzellente Hochschulen. Sie brauchen Vorbilder und Traditionen und Orte, an denen sie diese elitäre Kunst jedermann zugänglich machen können. Wenn man jetzt die Wiener Staatsoper, die Burg, die Salzburger Festspiele kaputt macht, dann ist das kein Umbau, sondern eine Vernichtung. Wenn diese Institutionen einmal zerschlagen worden sind, kommen sie nie wieder. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 26./27.7.2014)