Das Große Mausohr, eine auch bei uns beheimatete Fledermausart, orientiert sich am Polarisationsmuster des Abendhimmels.

Foto: Dietmar Nill/Max-Planck-Institut

Seewiesen/Wien - Im Laufe der Evolution haben sich in der Tierwelt vielfältige Sinnesorgane entwickelt, um die Umgebung wahrzunehmen. Neben dem Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten wurden bei bestimmten Tieren längst auch noch andere Wahrnehmungskanäle entdeckt wie etwa der Magnetsinn, auch wenn nicht immer klar ist, wie der Sinn tatsächlich "funktioniert".

Bei den Säugetieren verblüffen die Fledermäuse durch hochspezialisierte Sinnenleistungen wie etwa die Echoortung, die wiederum die Erzeugung und Wahrnehmung von Ultraschall voraussetzt. Nicht ganz zufällig fragte deshalb auch der US-Philosoph Thomas Nagel in seinem berühmten Aufsatz "What is it like to be a bat?" ("Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?"), um damit auf die Komplexität von Bewusstsein und Sinneswahrnehmungen hinzuweisen.

Nun hat ein internationales Team von Fledermausforschern um Stefan Greif vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen am Großen Mausohr eine weitere verblüffende Sinnesleistung entdeckt, die man bisher nur bei wenigen Tiergruppen beobachten konnte: Bestimmte Insekten, Vögel und Reptilien können polarisiertes Licht wahrnehmen, das durch die Streuung des Sonnenlichts in der Atmosphäre zustande kommt.

Polarisationsmuster mit Kompassfunktion

Die so entstehenden Polarisationsmuster dienen etwa Honigbienen oder Zugvögeln als Kompass, nicht zuletzt auch nach dem Sonnenuntergang. Dass Säugetiere diese Sinneswahrnehmung auch nutzen können, war bislang noch nicht bekannt.

Für ihre Untersuchung, die im Fachblatt "Nature Communications" erschien, fingen die Forscher 70 Mausohr-Weibchen in der Orlova- Chuka-Höhle im Nordosten Bulgariens. Ein Teil der Tiere wurde einer um 90 Grad zum natürlichen Spektrum verschobenen Polarisationsrichtung ausgesetzt, den anderen Teil setzten die Forscher in die gleichen Boxen, nur ohne Polarisationsfilter. Dann verbrachte man die Tiere in den Boxen an zwei verschiedene, der Ausgangsposition entgegengesetzte Orte.

Um die Flugroute der Tiere zu verfolgen, versahen die Forscher die Fledermäuse mit kleinen Sendern und ließen sie lange nach Einbruch der Dunkelheit frei. Diejenigen Tiere, die bei Sonnenuntergang einem um 90 Grad verschobenen Polarisationsmuster ausgesetzt waren, flogen danach in eine Richtung, die um 90 Grad von der abwich, in welche die Kontrolltiere flogen.

Mit diesem einfachen Experiment konnten die Wissenschafter um Stefan Greif erstmals zeigen, dass zumindest Große Mausohren das Polarisationsmuster im Abendhimmel nutzen, um ihren inneren Magnetkompass zur Orientierung zu kalibrieren. Wie genau dies funktioniert, ist allerdings noch unklar. (tasch, DER STANDARD, 23.7.2014)