Ob ich nicht Lust hätte, Hans Plajer anzurufen, fragte mich Andy Perer unlängst. Plajer, setzte Perer fort, sei nämlich einer, vor dem er den Hut ziehe. Obwohl ich seinen, Plajers, Namen vermutlich in keiner der gängigen Beste- oder Wildeste- oder Härteste-Hunde-Charts finden würde. Aber da ich im November fast eine Woche mit Hans Plajer verbringen würde, meinte Perer, könne ich mir ein bisserl Vorab-Neugierde gönnen.

Ich nickte. Höflichkeitshalber. Schließlich ist Perer - sozusagen - mein Reisebüro: Er organisiert für "Runners Unlimited" Sportreisen - und im November bin ich mit ihm beim New-York-Marathon. Aber: Hans Plajer? Von dem habe ich echt noch nie gehört. Noch am gleichen Tag stolperte ich aber über ihn. Auf der Facebook-Seite von Elisabeth Niedereder: Die Spitzenathletin stand da auf einem Foto neben einem alten Mann. Und daneben fand sich ein kurzer Text, der mich baff machte.

Foto: http://www.elisabethniedereder.com

Ich griff zum Telefon.

Hans Plajer lebt in Klagenfurt. Er ist pensionierter Kfz-Mechaniker. Er hat drei Töchter. Fünf Enkelkinder. Seine Frau Ingeborg würde sich über Urenkel freuen. Altersmäßig wäre das stimmig: Plajer ist im Juni 85 geworden. Und läuft. Nicht "trotzdem" - sondern "deshalb": "Ich möchte mir mit 85 Jahren noch ein großes Erfolgserlebnis gönnen", sagt er. Darum "deshalb": "Deshalb laufe ich den New-York-Marathon."

Plajer kennt die Strecke: Zweimal ist er die 42 Kilometer schon gelaufen. 1988 und 1992. In nahezu identen Zeiten (3:49:14 und 3:49:56). Aber um Zeiten gehe es nicht. Schon lange nicht mehr: "Das Laufen hält mich lebendig." Wobei das so eigentlich nicht stimmt. Denn der Kärntner läuft nicht nur - er tut viel mehr. Langlaufen, Eisschnelllauf, Kugelstoßen, Skifahren, Weitsprung - oder Triathlon: "Wo in Kärnten gelaufen wird, ist Hans dabei. Er ist landbekannt, wird immer von allen angefeuert. Auch wenn's bei ihm länger dauert. Er bekam zum 80er einen Startplatz für den Ironman Austria - mit der Startnummer 80", erzählt die Kärntner Lauf-Aktivistin und -Bloggerin Running Zuschi.

Foto: privat

Hans Plajer lebt das olympische Prinzip. Den guten Teil davon. Den vom Dabeisein, das alles ist. Einer, der - so Running Zuschi - "immer ein Lächeln auf den Lippen hat". Der Energie und Motivation daraus beziehe, dass die Zuseher tatsächlich auf ihn warten - und ihn oft lauter anfeuern als die Spitzenathleten. Zuschi, deren Frauen-Laufprojekt "Club 261" hier noch eigens vorkommen wird, findet das auch aus einer augenzwinkernden Gender-Perspektive sympathisch: "Damen sind oft froh, wenn der Hans mitläuft: Dann werden sie nicht Letzte."

Aber zurück zu Hans Plajer. Der hat nämlich keineswegs sein ganzes Leben lang Leistungssport getrieben und zehrt nun eben vom jahrelangen Aufbautraining der Jugendjahre: Klar, in seiner Jugend war Sport ein Thema. Völkerball, Skifahren, Fußball ...

Aber dann kam der Zweite Weltkrieg. "Danach die Lehre, der Wiederaufbau, die Liebe." Erst als die Kinder da waren, war Sport Thema: "Eislaufen, Skifahren - was man mit Kindern halt so tut." Nur: Als die Kinder aus dem Haus waren, legte der Kfz-Mechaniker erst wirklich los. "Da bin ich in den Ausdauersport eingestiegen." In einem Alter, in dem "echte" Leistungssportler in Pension gehen: "Seit 25 Jahren ist der Klagenfurter aus der Szene der Triathleten Österreichs nicht wegzudenken", schrieb die Kärntner "Kleine Zeitung" vor sechs Jahren.

Foto: privat

Bei fünf Ironmans und 250 Triathlons und Duathlons erreichte Plajer das Ziel. 1983 war er beim ersten Triathlon Österreichs dabei. 1987 war er der erste Kärntner Teilnehmer beim legendären Ironman in Hawaii - und kam nach 14:31,16 Stunden ins Ziel. Marathons? Ein Dutzend. ("Berlin, Wien, Rom, Florenz, Sibirien, Athen - für die anderen müsste ich jetzt nachschauen") - und ist frischgebackener Mehrfach-Staatsmeister: "Für unseren Leichtathletikklub, den KLC (Klagenfurter Leichtathletik Club, Anm.), trat er Anfang Juli bei den österreichischen Mastersmeisterschaften in Wolfsberg an, wo er sieben Goldmedaillen gewinnen konnte", freut sich KLC-Obfrau Bettina Germann: Plajer holte in seiner Altersklasse Gold über 100, 200, 400, 800 und 1.500 Meter - dazu noch im Kugelstoßen und im Hochsprung.

Foto: http://www.klc.at

Dabei hat der ehemalige Bundesheer-Werkstättenleiter da nicht nur seine Nicht-Leistungssport-Jugend bravourös kompensiert: "Äußerst unsportlich und Raucher" sei Plajer früher gewesen, sagt KLC-Chefin Germann. Doch auch als er das lange hinter sich gelassen hatte, gab es Rückschläge. Dezent formuliert: 1995 wurden der "Kärntner Ausdauerinstitution" (© Kleine Zeitung) wegen Krebsverdachts Teile der Stimmbänder entfernt, 2005 mussten Tumore bestrahlt werden. "Operativ war nichts zu machen. Die Ärzte haben mich in meinem bewussten Leben unterstützt", erzählte Plajer da der "Kleinen Zeitung" von "seinem wichtigsten Sieg": "Ich habe es geschafft, den Krebs zu überwinden."

Deshalb ist es nicht ganz einfach, mit Hans Plajer zu telefonieren. Und um Missverständnisse und akustische Probleme auszuräumen, sitzen nicht nur Ehefrau Ingeborg, sondern auch andere Familienmitglieder neben dem auf "Lautsprecher" geschalteten Handy in Klagenfurt. "Meine Familie ist der beste Coach", wiederholt Hans Plajer mehrmals. Nach New York wird aber "nur" seine Frau mitkommen. "Beim Wiener Silvesterlauf waren sie alle an der Ringstraße. Das ist die tollste Motivation!"

In New York, weiß der Läufer, könnte es aber ohnehin passieren, dass er die eigene Verwandtschaft gar nicht sieht: "Die Menschenmasse in dieser Stadt trägt dich ins Ziel. Die feiern jeden Läufer, vom Ersten bis zum Letzten. Da schwebst du."

Ehrgeiz? "Nein, ich will den Lauf genießen. Durchkommen. Mir mit 85 Jahren dieses Geschenk machen. Wenn ich gesund durchkomme, dann will ich das mit meiner Frau und allen, die dort sind, feiern." Und danach weiter Sport treiben: "Natürlich werden die Erholungsphasen mit dem Alter länger. Das ist ja vollkommen normal." Aber Aufhören ist keine Option.

Denn obwohl Hans Plajer nie loslief, um irgendjemandem etwas zu beweisen, hat er mittlerweile akzeptiert, dass er längst Botschafter ist. "Ja, viele ältere Leute sagen mir, dass ich ein Vorbild für sie bin. Und das ist ja auch eine meiner Lebensweisheiten: Der Sport, die Bewegung, hält mich lebendig." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 23.7.2014)

Was Rottenberg noch so treibt?

derrottenberg.com

Compliance-Anmerkung:

Rottenbergs Reise und Teilnahme beim New-York-Marathon sind eine Presseeinladung von "Runners Unlimited by Ruefa".