Lilly schaut besorgt auf den Strand. "In den sieben Jahren, die ich hier bin, habe ich so etwas noch nicht erlebt." Die Angestellte des Seal Bay Conservation Park auf Kangaroo Island führt gerade Besucher durch die Kolonie der Australischen Seelöwen, vor der 15-köpfigen Gruppe spielt sich ein Drama ab. Ein wenige Wochen altes Jungtier wird von einem halbwüchsigen Männchen bedrängt, durch die Luft geworfen und gebissen.

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Die Mutter ist im Meer, drei Tage bleiben die Weibchen gewöhnlich weg auf Nahrungssuche, in dieser Zeit sind Jungtiere auf sich gestellt. Wird ihr Nachwuchs den Tag überleben? Lilly hofft schon. "Wir werden allerdings nicht eingreifen." Auf Kangaroo Island geht es um Naturschutz - wie ungerecht der auch in den Augen mancher Menschen aussehen mag.

Grausam schöne Natur

Auf der drittgrößten Insel Australiens, rund 145 Kilometer lang und 45 Kilometer breit, erleben Besucher auf Schritt und Tritt, wie grausam und wie schön die Natur sein kann. Wer die wenigen geteerten Straßen der Insel im Bundesstaat South Australia mit dem Auto entlangfährt, schattige Eukalyptusbäume links und rechts der Fahrbahn, sieht jeden Morgen die überfahrenen Kängurus, Possums und manchmal einen Koala.

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Roadkill heißt das hier lapidar. Einheimische raten wegen der vielen Tiere von nächtlichen Spritztouren auf der Insel ab, Autovermieter verbieten in ihren Verträgen das Fortbewegen nach Sonnenuntergang. Wer will in seinem Urlaub schon schuld am Tod eines Kängurus sein?

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Wer mit der Fähre im Küstenort Penneshaw anlegt, muss wissen, dass er sich auf eine manchmal ungezähmte und allerorten geschützte Natur einlässt. Und dass dieses Vergnügen nicht billig ist, bei aller Ursprünglichkeit. Unterkünfte kosten bedeutend mehr als auf dem Festland, Restaurantpreise sind bei niedrigerem Standard ebenso hoch, jeder Eintritt in einem Naturpark kostet einen Obulus.

Testosteron in der Luft

Dafür entschädigt die Natur großzügig. In der Seelöwenbucht an der Südküste leben etwa 1000 Robben, die Hälfte davon ist gerade an Land, die andere auf Jagd im Wasser. Am Ende der Paarungszeit im März herrscht Aufregung am Strand. Die Männchen versuchen ein letztes Mal, ein Weibchen zu finden. "Es liegt viel Testosteron in der Luft", sagt Lilly. Deshalb käme es zu solch seltenen Szenen, in denen frustrierte Seelöwen-Teenager sich an den Kleinsten vergehen.

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An der Nordküste der Insel ist das Meer hellblau, an einigen Stellen wie dem Emu Beach gehen Besucher baden. An der Südküste ist das Meer dunkelblau, zwischen Kangaroo Island und der Antarktis liegt praktisch kein Land, deshalb ist das Wasser kühl. Ähnlich wie in Kapstadt, beide Orte liegen beinahe auf demselben Breitengrad.

Im Winter zu heiß

Trotzdem kann die Luft im Sommer, also zwischen Dezember und Februar, empfindlich heiß werden. Zu heiß. Dann brennen die Bäume lichterloh, so wie im Dezember 2007, als ein zehntägiges Buschfeuer den Südwesten heimsuchte. 900 Quadratkilometer brannten nieder, eine Fläche mehr als doppelt so groß wie Wien, die Vegetation des riesigen Flinders Chase Nationalparks wurde zu 85 Prozent zerstört.

Plakate klären heute über die damals getöteten Tiere auf, deren Zahl niemand zu schätzen wagt. Große Kängurus können sich vor den Flammen in Sicherheit bringen, aber was ist mit den Koalas, die selten ihre Bäume verlassen und auf dem Boden ungeschickt sind?

Eierlegende Sumpfwiesenigel

Ein Tamarwallaby überquert den Rundweg im Flinders Chase National Park, verschwindet im Gebüsch, hinter den stachelförmigen Kugelpalmen, die wie eingerollte Kurzschnabeligel aussehen - eine der wenigen Säugetierarten, die Eier legen. Auf den sattgrünen Sumpfwiesen sind sie hervorragend an ihre Umgebung angepasst.

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Urtümlich aussehende Spaltfußgänse grasen friedvoll, manchmal huscht ein Waran über den Weg. Und überall zwitschern Vögel, die manchmal zu klein sind, um sie zu sehen. Die kobaltblaue Meise etwa, der kleinste Vogel der Insel, der wie ein blauer Mini-Helikopter durch den Wald fliegt. Erst wenn es Abend wird, ziehen die Kakaduschwärme wieder los. Ihr Gekreisch übertönt jedes Geräusch.

Launischer Laufvogel

Am nächsten Tag geht es zur Emu Distillery. In der Eukalyptus-Destillerie darf nur ein Emu-Weibchen im Laufgehege als Maskottchen herhalten. Die Insel-Unterart des australischen Straußenvogels ist bereits seit ein paar Jahrzehnten ausgerottet. Lucy führt Besucher über das Gelände, ihre Stimme geht noch mehr ins Mark als die der Kakadus, sie erzählt von dem "evil Emu", zu dem sich keiner mehr so richtig hineintraut.

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Bis vor kurzem gab es noch ein Männchen, das Weibchen legte ein paar Eier, wie in vielen Straußenfamilien üblich war es nun am Mann, sich um den Nachwuchs zu kümmern. In einer Nacht-und-Nebel-Attacke griff ihn die Mutter mit ihren scharfen Krallen an, tötete ihn und zertrat das Gelege. Jetzt weiß in der Emu Distillery niemand so recht, was man mit dem Laufvogel anfangen soll. Auch wieder so eine Laune der Natur auf Kangaroo Island. (Ulf Lippitz, DER STANDARD, Rondo, 25.7.2014)