Giacomo Casanova (Clemens Aap Lindenberg) wartet auf die Heimberufung nach Venedig, setzt aber für die junge Marcolina einmal noch sein anmutigstes Rokoko- Gesicht auf. Rechts im Bild: Marcolinas Geliebter Leutnant Lorenz (Josef Ellers).

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16 Jahre Thalhof-Intendatin: Helga David.

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Reichenau/Rax - In der Literatur richten Wörter wie "Nichte" oder "drei Töchter" in Zusammenhang mit dem Namen Casanova nur Unheil an. Der eroberungssüchtige, selbsternannte Chevalier bricht sich ungestüm und trickreich Bahn in die Gemächer junger Frauen - meist gegen deren Willen.

In Arthur Schnitzlers Erzählung Casanovas Heimfahrt etwa verkürzt sich der in die Jahre gekommene Schwerenöter auf einem Landgut bei Mantua die Wartezeit auf seine Heimberufung nach Venedig mit der ungestümen Annäherung an eine nahe Verwandte der Gastgeber.

Im Ballsaal des Thalhofs in Reichenau setzt er (Clemens Aap Lindenberg) für die junge Mathematikstudentin Marcolina (Lisa Schrammel) sein anmutigstes Rokoko-Gesicht auf. Helga David, Thalhof-Intendantin und -Regisseurin seit 16 Jahren, hat Schnitzlers Erzählung zu einem Bühnenstück umgearbeitet und dafür Terrasse und Ballsaal gleichermaßen in Beschlag genommen.

Vom Genius Loci des geschichtsträchtigen Hauses leben die von ihr gegründeten Sommerfestspiele auf ganz besondere Weise. Denn am Thalhof hat Schnitzler seine Sommerfrische verbracht. Der Dichter war in die Wirtin des Hauses, Olga Waissnix, bekanntlich unsterblich (und unerfüllt) verliebt.

Ein aufwühlender Briefwechsel zeugt davon, und er war vor 16 Jahren der Grundstein zur Gründung der Sommerfestspiele. Helga David: "Als Kurgast habe ich damals hier am Thalhof zufällig eine Hochzeit miterlebt, bei der das Pärchen auf der kleinen Bühne des Ballsaals aus dem Briefwechsel gelesen hat. Ich dachte mir, wenn das Laien schon anbieten, dann geht das auch professionell."

Auch die Familie Waissnix, die bis vor kurzem noch im Besitz des Gehöfts am Talschluss war, befand sich durch die Theaterveranstaltungen um eine Attraktion reicher und hat Helga David in ihren Bestrebungen stets unterstützt.

Vertrag nicht verlängert

Damit ist nun Schluss. Vor zwei Monaten wurde der Intendantin von den neuen Besitzern, Ursula und Josef Rath, telefonisch gekündigt, sprich der Vertrag nicht verlängert. Man werde bereits ab der kommenden Saison auf Davids Arbeit verzichten. Das Ehepaar wolle die Kunst selbst in die Hand nehmen. Damit hat Helga David auch eine wichtige Subvention verloren (rund 100.000 Euro), die dem Unternehmen alljährlich vom Bund, vor allem aber vom Land Niederösterreich zugesprochen wurde. "Landeshauptmann Erwin Pröll hat verstanden, dass das Theater auch Tourismus bringt", so Helga David im Gespräch mit dem Standard. Das gilt insbesondere für die Semmering-Region. David, eine gebürtige Wienerin, hat viele Jahre sehr erfolgreich in Deutschland Theater gespielt, mit Regisseuren wie Hansgünther Heyme oder Hans Hollmann, bevor sie 1989 wieder nach Österreich zurückkehrte und eigene Regiearbeiten übernahm.

In Reichenau war der Ballsaal des Thalhofs ihr "kongenialer Partner", wie sie sagt. "Hier haben wir das Theatralische des Verfalls genützt." Die Patina des Hofes, das konservierte Fin-de-Siècle-Flair waren den Inszenierungen die besten Bühnenbilder.

Ähnlich wie es viele Jahre lang das Südbahnhotel am Semmering für die Reichenauer Festspiele darstellte. Altes Gebälk, große, bereits bröckelnde Bilderrahmen, die in der Ecke lehnen, alte Fauteuils, umweht von seidigen Vorhängen.

Der Verfall wird jetzt gestoppt; die neuen Besitzer lassen umfangreiche Sanierungsarbeiten durchführen, eine Notwendigkeit, die auch Helga David eingesteht und begrüßt.

Liebe zum Alten

Ihre Liebe zum Alten bleibt dennoch spürbar: "Es ist ein Ort, der frei in der Landschaft liegt, wie hingewürfelt vor ein Bergpanorama, das aussieht wie eine japanische Tuschezeichnung. Als ich angefangen habe, kamen in der Früh um vier Uhr noch die Hirsche, um aus der Lacke zu trinken, und die Gämsen sind runtergepoltert, wenn es kalt wurde".

Auch der Casanova-Premiere ist die Liebe zum Alten und zum Detail anzusehen. Der 90-minütige Abend ist in seinem szenischen Gebaren und seiner peniblen, geschmackssicheren Ausstattung (Kostüme: Gerda Nuspel) eine puristische Miniatur, so feingliedrig und präzise vielleicht wie eine japanische Tuschezeichnung. Das war sie schon vor zehn Jahren in einem zum Teil identen Ensemble (Johannes Seilern als Marchese, Musik von Marwan Abado).

Wie es weitergehen wird, ist für Helga David noch ungewiss. "Es bieten sich erfreulicherweise viele Leute an, bei denen ich spielen könnte. An einem Ort werde ich nächstes Jahr gewiss Theater machen, aber es ist noch nicht spruchreif. Ich will jetzt nichts überstürzen", meint sie. Ob sie noch Kontakt zur Familie Waissnix hat? - "Ja klar, sie hat uns für die Premiere den Kartoffelsalat gemacht." (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 22.7.2014)