Wien - Konzentrierte Bewegungen, lautstarke Ausrufe, Verbeugungen, es ist Taekwondo-Zeit - diesmal im Freien auf der Wiener Donauinsel. "Im Raum ist es anders, da hat man die vier Wände, kann sich besser orientieren, in der freien Natur hat man dafür keine räumlichen Bezugspunkte, deshalb kann man da besser erkennen, wie weit man wirklich ist“, erklärt Alba Winkelbauer, Taekwondo-Meisterin.

Das öffentliche Auftreten in den weißen Taekwondo-Anzügen macht neugierig, hier und da bleiben Passanten stehen und sehen den umtriebigen Sportlern an der Kaisermühlenbrücke zu. Heute wird trainiert, aufgewärmt, vorne stehen die Großen, hinten die Kleinen, was sie alle eint, sind die gleichen Bewegungsabläufe, der Meister macht vor, seine Zöglinge ziehen nach, so gut sie können.

"Neu ausloten"

"Draußen ist alles neu, man muss sich mehr mit sich beschäftigen und alles neu ausloten“, sagt Ortwin Winkelbauer, Gründer der Um-Yang-Taekwondo-Schule im 22. Wiener Gemeindebezirk. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Alba betreibt er diesen Sport mittlerweile schon seit gut 20 Jahren. Seit mehr als zehn Jahren gibt es das traditionelle Taekwondo in Österreich, seit den 1970ern schon das Wettkampf-Taekwondo. Die drei Silben des Taekwondo stehen übersetzt für: Fußtechnik (Tae), Handtechnik (Kwon) und Weg (Do).

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Ungewohnte Umgebung

Die Umstände seien total neu und deshalb eine Herausforderung auch für Erfahrene. Der freie Raum würde auf die wirklichen Situationen im richtigen Leben vorbereiten. Selbstschutz und Selbstverteidigung sind da ein Thema, aber nicht nur: "Es ist nicht nur Training für den Körper, sondern auch für den Geist“, sagt Marcus Steinwender, der seit fünfeinhalb Jahren Taekwondo betreibt. "Wir bemühen uns, alles symmetrisch zu machen, alle Seiten werden abgedeckt“, beschreibt er. Drei- bis fünfmal die Woche findet er sich zum Training ein, je nachdem wie es sich zeitlich ausgeht.

"Die Kondition motiviert, und der Kopf wird wirklich frei, da kann man frei denken und fühlt sich total gut“, ist auch Daniela Poys überzeugt, sie ist seit drei Jahren dabei. "Es bringt einem vom Alltag weg“, sagt auch Patrycia Ziobron, sie freut sich, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die diesen Sport gemeinsam ausübt, fast wie in einer "zweiten Familie“, sagen viele der Beteiligten.

Abstufungen

Im Wesentlichen lassen sich drei Hauptstilrichtungen ausmachen: das reformierte ITF-Taekwondo (Semi-Kontakt ohne Schutz), das WTF-Taekwondo (Vollkontakt mit Schutz) - beide entwickelten sich Anfang der 1970er aus dem traditionellen Taekwondo heraus - und das bereits genannte klassische oder traditionelle Taekwondo. Daraus ergeben sich zwei Arten: Wettkampf-Taekwondo und traditionelles Taekwondo. Heuer feierte man das 50-Jahr-Jubiläum des klassischen oder traditionellen Taekwondo in Europa.

Unterschiede

"Wir bieten beides an, sowohl das klassische oder traditionelle Taekwondo als auch das moderne oder Wettkampf-Taekwondo“, sagt Ortwin Winkelbauer. Die Unterschiede zwischen den beiden Arten liegen vor allem in der Trainingsintensität. Während bei der traditionellen Variante die Bewegungen und Abläufe im Vordergrund stehen, wird bei der Wettkampf-Variante zusätzlich an Kraft, Schnelligkeit und Ausdauer gearbeitet.

Zudem gibt es noch Unterschiede in den sogenannten vorgeschriebenen Bewegungsformen. Diese sind ähnlich zu den Katas im Karate, bestehend aus Abwehr- und Angriffskombinationen, die einen Kampf mit einem imaginären Gegner simulieren. Beim traditionellen Taekwondo heißen sie "Hyeong“ und beim Wettkampf-Taekwondo "Poomse". "Bei beiden Bewegungsformen ist es wichtig, die linke und rechte Gehirnhälfte anzusprechen“, erklärt Winkelbauer.

Ausgleich

Ein weiterer Unterschied sei zudem, dass bei der traditionellen Variante die Übungen mehr für sich selbst, für den Körper und gegen den Alltagsstress gemacht werden. Der Vollkontakt wird vermieden, und das Ziel sei es, geistig wie körperlich gelassener zu werden, und weniger, sich auf Wettkämpfe vorzubereiten, sagt Winkelbauer. "Man kommt mit einem vollen Kopf zum Training und geht mit gelassener Energie wieder hinaus“, sagt er.

Taekwondo ist nicht nur ein Kampfsport, es ist eine Kunst, welche Disziplin und viele andere Tugenden fördert, sagen die Anwesenden zusammengefasst. Seit den Olympischen Spielen 2000 in Sydney ist Taekwondo auch zu einer vollwertigen olympischen Disziplin aufgestiegen. Hier an der Kaisermühlenbrücke neigt sich der Tag langsam dem Ende zu. Einige Wagemutige trainieren noch Taekwondo-Sprungkicks ins Wasser, danach beendet Meister Winkelbauer das Treffen. Bald schon werden sie aber wieder da stehen, die Frauen und Männer in Weiß. (Text und Video: Toumaj Khakpour und Siniša Puktalović, 18. Juli 2014, daStandard.at)