Eman ist eine junge, alleinerziehende Mutter. Sie flüchtete mit den beiden vier- und der sechsjährigen Tochter vor dem Krieg in ihrem Heimatland Syrien. Mit dem Boot nach Italien, mit dem Schlepper nach Norwegen - zu ihren Geschwistern und Cousins, die bereits im Land leben.

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NGOs und Oppositionsparteien kritisieren das Vorgehen der norwegischen Regierung bei syrischen Flüchtlingen.
Foto: AP Photo/Khalil Hamra

Eman und ihrer älteren Tochter wurde ein posttraumatisches Stresssyndrom diagnostiziert, das Mädchen leidet zudem an einer Lungenkrankheit. Trotzdem müssen sie das skandinavische Land verlassen und nach Italien zurückkehren. Norwegen schickt die Familie nach dem Dublin-III-Abkommen zurück. Insgesamt 262 syrische Flüchtlinge wurden so seit dem Jahr 2011 in ein anderes Land ausgewiesen - heuer waren es 24 Asylsuchende, die angaben, dass sie aus Syrien stammen.

Emans Geschichte ist eine von vielen, die im Moment von den norwegischen Medien erzählt werden, um auf den Umgang der Regierung mit der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen aufmerksam zu machen. Bereits im Mai berichteten die Zeitungen, dass Justizminister Anders Anundsen eine dringende E-Mail an das Immigrationsdirektorat sendete. Darin soll er erklärt haben, dass es für Norwegen schwierig werde, die freiwillig zugesicherte Quote von 1.000 aufgenommenen Flüchtlingen aus Syrien zu erfüllen. Die Stadtverwaltungen hätten angegeben, dass sie niemanden, der langfristige medizinische Betreuung benötigt, aufnehmen könnten.

Offener Brief von Ärzte ohne Grenzen

Anundsen erklärte in der norwegischen Tageszeitung "Aftenposten", dass sich die Regierung "in einem Dilemma befindet". Auf der einen Seite wolle man denjenigen helfen, die am meisten Hilfe brauchen, auf der anderen Seite müsse man auch die Herausforderungen in Norwegen miteinbeziehen.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen reagierte auf die Berichterstattung mit einem offenen Brief an die Regierung und erinnerte, dass humanitäre Politik nicht an Norwegens Grenze aufhöre. "Es ist inakzeptabel, dass wir keine Kapazitäten haben, um syrische Flüchtlinge mit medizinischen Problemen aufzunehmen", sagt Anne-Cecilie Kaltenborn am Telefon zu derStandard.at. Die Generalsekretärin von Ärzte ohne Grenzen Norwegen ist eine der Unterzeichnerinnen des Briefes. Es widerspreche allen humanitären Einstellungen, Menschen mit den größten medizinischen Bedürfnissen die Aufnahme zu verweigern.

Kritik der Opposition

Auch die Oppositionsparteien im Parlament üben Kritik an der Regierung. Eirik Sivertsen von der Arbeiterpartei stellt zwar fest, dass das Dublin-III-Abkommen ein wichtiges Werkzeug ist, um die Flüchtlingsthematik auf europäischer Ebene zu handhaben, doch plädiert er angesichts des Syrien-Krieges für Ausnahmen. Das System dürfe sensiblen Lösungen nicht im Weg stehen. Dem pflichtet Karin Andersen von der sozialistischen Partei bei. Sie erinnert, dass Norwegen von dem Dublin-Abkommen keinen Gebrauch machen müsse und selbst entscheiden kann, welche Asylwerber ihren Antrag im Land einbringen dürfen.

Das Parlament forderte vor kurzem die Regierung auf, ihre Richtlinien zu untersuchen, wenn es um die Wahl von Flüchtlingsunterkünften gehe. Der Justizminister kommentierte das in den Medien nicht: Nachdem die Untersuchung noch nicht durchgeführt sei, könnte er auch noch nicht über mögliche Ergebnisse sprechen.

Solberg verteidigt Vorgehen

Die Premierministerin Erna Solberg sagte Ende Juni anlässlich ihres Besuchs in Italien, dass es nichts bringe, die bestehenden Flüchtlingsquoten anzuheben. Stattdessen wolle Norwegen enger mit dem europäischen Grenzschutz zusammenarbeiten, um den Flüchtlingsstrom zu unterbinden. Bis dato hat Norwegen bereits 35 Polizisten und Hilfsmaterial nach Italien geschickt, um Frontex zu unterstützen.

In einem Interview mit der norwegischen Zeitung "Bergens Tidende" wiederholte Solberg vergangene Woche, dass sich Norwegen aufgrund der niedrigen Personenzahl nicht schämen müsse. Das Nachbarland Schweden nimmt allerdings 17-mal mehr syrische Flüchtlinge auf als Norwegen.

Botschafter in Wien: Norwegen auf Platz drei

Den Menschen möglichst nahe zu helfen sei schon immer die Strategie Norwegens gewesen, sagt Jan Petersen, Botschafter in Wien, im Gespräch mit derStandard.at. Deshalb habe das Land seit 2011 rund 147 Millionen Euro in humanitäre Hilfe in und um Syrien investiert. Außerdem liege Norwegen bei der Flüchtlingsquote pro Einwohner auf Platz drei im europäischen Ranking. Nur Schweden und Malta würden mehr Syrer aufnehmen.

Würde man die Anzahl der Flüchtlinge auf das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf rechnen, liegt Norwegen noch immer auf Platz sechs - unter anderem hinter Österreich. Im Vergleich dazu lässt der Libanon pro Tag rund 1.000 Syrer ins Land und investierte nach Schätzungen bereits mehr als 7,5 Milliarden US-Dollar in die Krise - bei einem Pro-Kopf-BIP von einem Zehntel Norwegens. "Bei solchen Krisen liegt die größte Bürde immer auf den Nachbarländern", sagt Petersen. In dieser Situation liege es aber nicht nur an Norwegen, sondern an allen Staaten Europas, mehr zu tun.

Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien wurden rund sechs Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben. 2,8 Millionen Syrer sollen ins Ausland geflohen sein, die Dunkelziffer soll laut Experten aber höher liegen, da sich nicht jede Person als Flüchtling registrieren lässt. Die Vereinten Nationen wollen zwischen 2015 und 2016 mehr als 100.000 syrische Flüchtlinge in sichere Drittstaaten umsiedeln. (Bianca Blei, Grafik: Florian Gossy, derStandard.at, 16.7.2014)