Michael sieht nicht aus wie einer, der zwischen Kräuterbeeten und Komposthaufen groß geworden ist. Einen Totenkopf, überlappt von einem Schlagring, hat er sich auf den Unterarm tätowieren lassen, am Halsketterl baumelt eine Patrone. Gelacht hat der 18-Jährige früher über die "Bauernschädel", die sich am Feld die Sonne auf den Kopf knallen lassen.

Heute macht sich Michael selbst die Hände schmutzig. Eine blaue Latzhose trägt der Bursche aus der Großfeldsiedlung im Bezirk Floridsdorf, er war den ganzen Vormittag auf Achse. Die Paradeiser mussten dringend hochgebunden werden, Gurken, Kohlrabi und Salat warteten auf Wasser. Dazwischen stand ein Besuch im Baumarkt an, um Schlösser für die Fahrräder zu kaufen. Wie das meiste an Michaels Arbeitsplatz sind diese selbstgebastelt, zusammengeflickt aus alten Teilen.

Michael, 18, versucht, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen - und macht es den "Bauernschädeln" nach, die er einst verlacht hat.
Foto: robert newald

Über Stress klagt der Teenager nicht, er war oft genug zum Nichtstun verdammt. Als "ausgrenzungsgefährdet" gilt Michael laut offiziellem Wording - so wie die anderen zwei Dutzend Jugendlichen auch, die an Wiens nördlicher Peripherie Gemüse ziehen, Marmelade einkochen, Gartenmöbel bauen und sogar Honig aus einem eigenen Bienenstock schleudern. Ausgespuckt vom Arbeitsmarkt, sollen die Burschen und Mädchen hier, in der Ökowerkstätte des Projekts "Spacelab", auf eigenen Beinen zu stehen lernen - und, wie Sozialarbeiter Christoph Trauner sagt, endlich etwas anderes zu hören bekommen als: "Du weißt nix, kannst nix, bist nur ein Trottel."

Michael wäre oft schon über irgendeine Reaktion froh. Acht von zehn Bewerbungen bleiben ohne Antwort, beim Rest heißt es: "Wir melden uns bei Bedarf." Den Weg aufs Abstellgleis, ahnt er, bahnt sein Pflichtschulzeugnis, das "sonderpädagogischen Förderbedarf" ausweist. Der Abschluss ist vier Jahre her, doch die verhängnisvollen Sternchen hinter zwei Noten hängen ihm, so eloquent er auch wirken mag, bis heute nach.

Intermezzo als Hilfsschackl

Rasch zu Ende waren die wenigen Gehversuche in der Arbeitswelt. Der Autozubehörhändler habe ihn als Praktikanten - "Hilfsschackl" träfe es besser - exakt so lange behalten, bis der Filialumbau fertig war, im Zierfischzentrum passierte das Malheur mit dem glitschigen Aquarium. Das Intermezzo in einem Supermarkt ("Bei hunderten Leuten auf einmal verliere ich die Orientierung") endete ebenso frustrierend wie die vielen Kurse vom Arbeitsmarktservice (AMS): "Das hier ist der erste Kurs, der nicht zum Schmeißen ist."

Eine Lehre oder andere formale Ausbildung bieten die vom AMS und dem gemeindeeigenen Arbeitnehmerförderungsfond (Waff) finanzierten Trainings an den drei Spacelab-Standorten nicht. Bevor nach Jahren des Herumhängens in Parks und Einkaufszentren an einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu denken ist, brauchen die Jugendlichen das nötige Rüstzeug: Selbstvertrauen, Gewöhnung an einen fixen Tagesablauf, den langen Atem, eine Arbeit zu Ende zu bringen. Es sei schon ein Erfolg, wenn ein demoralisierter Bursche nach Wochen den Mund aufmacht, um zu sagen, was er will, erzählt Projektkoordinator Trauner: "Oder wenn einer, der immer zu spät kommt, zumindest anzurufen beginnt."

Die Betreiber der Ökowerkstätte in Floridsdorf hatten geglaubt, in ein paar Jahren alle Anwärter im Einzugsgebiet durchzuhaben, doch der Zustrom reißt nicht ab: Die Zahl arbeitsloser Jugendlicher ist seit dem Krisenausbruch 2008 massiv gestiegen, zehntausende hängen in der Luft (siehe Artikel). Die mitgebrachten Fähigkeiten hielten mit den Ansprüchen der Arbeitgeber nicht mit, sagt Trauner - kein Wunder, "wenn so mancher Jugendlicher nach neun Jahren Pflichtschule als funktionaler Analphabet ins Leben geschickt wird".

"Hier versuchen sie es wenigstens mit mir", sagt Michael, der mithilfe seiner "Perspektivencoaches" doch noch eine Lehrstelle - als Landschaftsgärtner oder Medientechniker - zu ergattern versucht. Dass ihm diese Chance nicht in den Schoß fallen wird, weiß er - nicht aus Zufall ziere das Schlagringtattoo den Unterarm: "Für seine Ziele muss man kämpfen."

Denise tat das, was die Fachleute Mädchen ständig raten: Sie wollte nicht Friseurin oder Kindergärtnerin werden, sondern fing eine Lehre als Schlosserin an. Vom Opa hat die heute 18-Jährige die Liebe zum technischen Handwerk mitbekommen, und auch beim Arbeitsmarktservice ließ sie sich nicht den Mut nehmen. Für so einen Beruf, habe ihr eine Betreuerin einmal gesagt, sei sie doch viel zu schwächlich.

Denise, 18, fiel wegen einer Krankheit  aus der Ausbildung - bei ihrem Neustart muss sie Abstriche von ihren Träumen machen. 
Foto: robert newald

Der erste Versuch bei einem Schlosser war noch ein Fehlschlag; weil sie kaum etwas selbstständig machen durfte, warf Denise den Krempel nach vier Monaten hin.  Gut lief es danach jedoch in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte von "Jugend am Werk", bei einer Ausbildung zur Maschinenbautechnikerin - bis zu plötzlich diese Panikattacken einsetzten. "Rein gar nichts" mehr brachte Denise, immer schon introvertiert, allein zustande. Bereits ein Anruf oder ein E-Mail bereiteten ihr Angstzustände.

Eineinhalb Jahre war Denise außer Gefecht, hat nichts gemacht, sich dann bei Unternehmen Abfuhren geholt, ehe sie via AMS bei Spacelab landete. Eigentlich ist die Zeit in der Trainingswerkstätte in Floridsdorf mit sechs Monaten begrenzt, doch die Betreuer sahen gute Gründe für eine Verlängerung. Die Hilfe machte sich bezahlt: Am 1. September tritt Denise eine neue Lehre an.

Ein technischer Beruf ist es dann doch nicht geworden, sondern eine Stelle für Fassaden-, Denkmal- und Gebäudereinigung im Gemeinde-Unternehmen Wiener Wohnen. Denise kann die Abstriche von ihren Wünschen gut verschmerzen, nach vierzig vergeblichen Bewerbungen freut sie sich auf den Job: "Die meisten Jugendlichen wissen nicht, wie ernst das Leben sein kann."

Mario war, wie er selbst sagt, auf einem Egotrip. "Ich schaff das schon allein", hatte sich der Bursche gedacht - "und ich wollte keine Leistung annehmen, ohne selbst etwas geleistet zu haben". Also ließ sich Mario, obwohl ohne Job, beim Arbeitsmarktservice nicht blicken, sondern hing wie ein "Wannabe Nerd" vor dem Computer ab. Bis er kapierte, dass man mit Internet-Zockereien auf Dauer eher doch nicht überleben kann.

Mario, 20, hat ein "Egotrip" in die Sackgasse geführt - über eine Lehre will er wieder rauskommen.
Foto: robert newald

Über den Umweg der Spacelab-Trainingswerkstätte versucht Mario doch noch die Kurve zu kratzen: Nicht so einfach für einen 20-Jährigen, der im Lebenslauf außer Pflichtschulabschluss und einem Jahr Berufsschule nur ein paar abgebrochene Einstiegsversuche in die Berufswelt vorzuweisen hat. Als "Mädchen für alles" bei einer Leasingfirma wurde Mario ebenso wenig alt wie in der Wirtshausküche, wo er täglich bis zehn Uhr nachts arbeiten sollte, ohne einen Cent für Überstunden zu bekommen.

Eine Lehre, am besten mit Matura, will Mario "durchdrücken". Elektronik interessiert ihn, auch einen sozialpädagogischen Job kann er sich vorstellen - doch all das berät er derzeit noch mit seinen Betreuern. Solange die Entscheidung nicht gefallen ist, beantwortet Mario die Frage, was er erreichen will, philosophisch: "Im Leben einen bleibenden Eindruck hinterlassen." (Gerald John, DER STANDARD, 15.7.2014)