Die Meister der Cruiser geben es jetzt, mit der Street 750, auch eine Nummer kleiner. Testen kann man die überraschend einfach zu fahrende Street schon am Wochenende bei den Vienna Harley Days.

Hat der jetzt, oder hat er nicht? Hat er nicht. Oder? Ich stehe, nach der ersten Ausfahrt mit der neuen kleinen Harley an einer Kreuzung in Wien, suche gerade nach dem Leerlauf wie nach der Nadel im Heuhaufen, als ein lang gezogenes "Ooooo“ an mein betagtes, nicht mehr ganz einwandfrei funktionierendes Ohr dringt und mich aus meinen Träumen reißt. Das "Ooooo“ kam aus einem Auto, das gerade vor mir abgebogen ist. Ein Blick über die Schulter schafft Sicherheit. Den babyblauen Kastenwagen kenne ich. Ich habe nur einen Freund, der nervenstark genug ist,  ein derartiges Gefährt durch die Stadt zu lenken, wo man ihn sehen könnte: der Axi. Eine Koryphäe auf zwei und vier Rädern. Und der nennt mich nicht "Glu“, sondern "Guido“. Und das war wohl das "Ooooo“, das ich gehört habe.

Superscharfes Eisen

Weil warum sollte man mich auf der Siebenahoiba Street schon auch derb beschimpfen? Das Eisen schaut superscharf aus, was mir sicher gut steht, und ist zudem auch noch günstig. Zumindest wenn man in den Preissphären von Harley-Davidson rechnet. Um die 8.500 Euro wird die Street kosten, wenn sie im Herbst auf den Markt kommt. Wer sie schon davor fahren möchte, hat bei den Vienna-Harley-Days am kommenden Wochenende vom 18. bis zum 20. Juli auf der Kaiserwiese in Wien die Chance dazu. Und das ist nur einer der Programmpunkte von Österreichs größtem Harley-Treffen – aber jetzt, wo ich auf der Street sitze, wohl der wichtigste.

Wichtig scheint Harley-Davidson das Erschließen neuer Kundenkreise zu sein. Wie sonst lässt sich dieses Motorrad erklären? Sie sieht aus wie eine echte Harley, ist dabei aber deutlich handlicher als alle Namensvettern zugleich. Verantwortlich dafür sind die Sitzposition, die geringe Sitzhöhe, und nicht zuletzt das Gewicht von nur 222 Kilogramm. Ja, eine Yamaha FZ8 etwa ist mehr als zehn Kilogramm leichter, und zudem gibt es sie mit ABS, sogar die NC750X von Honda ist leichter, und man muss schon das Doppelkupplungsgetriebe dazubestellen, damit man die 222 Kilogramm sprengt –, aber in der Welt der schweren Eisen ist das Gewicht schon eine echte Ansage.

Gebaut in Indien

Eine Ansage, die nicht allen schmeckt, ist jene, dass Harley die Street 750 in Bawal, in Indien, bauen lässt, um den Preis niedrig halten zu können. Zwar baut Harley dieses Motorrad auch im Werk in Kansas, aber was dort aus der Halle rollt, ist allein für den nordamerikanischen Markt bestimmt. Dort wird auch die Street 500 gebaut, die es in Österreich gar nicht geben wird. Denn hierzulande ist die 750er schon eine Revolution, die für Aufsehen sorgt.

Ganz einfach lässt sich die Street bewegen. Selbst in der Stadt dirigiert man ganz leicht zwischen den Autos durch, ohne nervös zu werden, dass der Polo oder Fiesta nur mehr für Schrotthändler interessant ist, wenn einem die Harley auskommt und den Kleinwagen unter sich begräbt.

ABS? Fehlanzeige

Ein wenig puristisch steht sie da. Der Tacho ist ein Tacho. Kein Drehzahlmesser, keine Ganganzeige, keine Uhr – nicht einmal eine Tankuhr hat die Street. ABS? Fehlanzeige. Zumindest in der allerersten Generation. Traktionskontrolle? Nur weil jetzt schon die ersten Scooter mit Traktionskontrolle am Markt sind, heißt das ja noch lange nicht, dass man einen 57 PS starken Cruiser nicht auch so derbändigen könnte.

Obwohl, um die Hinterradbremse gescheit betätigen zu können, hat man einen Vorteil, wenn im Lebenslauf irgendwo "Akrobat" steht, weil man den Fußhebel so weit unter die Raste treten muss – was so gar nicht zu der entspannten Sitzposition passt. Die vordere Bremse könnte auch knackiger sein, aber im Segment der Cruiser ist Harley damit wohl lieber vorsichtig, bevor einer ungewollt vom Lenker abbeißt – weil eine Chopper eben nicht bremsen darf wie eine Supersport.

Apropos Chopper: Harley wünscht sich so sehr, dass sich Customizer an der Street vergehen, dass man zum Marktstart vermutlich schon selbst ein paar Kits zum Umbauen anbieten wird. Doch ist die Street auch direkt vom Band gebaut, um mit ihr über endlos weite Landstraßen zu gondeln, die Landschaft in sich aufzusaugen, die vom Sonnenuntergang in ein rot-gülden Licht getaucht wird.

Und schon wieder ergebe ich mich der Träumerei und verpasse fast, dass die Ampel auf Grün springt und ich weiter, mitten im Berufsverkehr, durch Wien gondeln darf statt über irgendeinen Highway. Ich stelle die Harley ab und rufe den Axi an – vielleicht hat er ja Zeit auf einen Kaffee. Ich erzähle ihm, dass ich erst dachte, er hätte nicht meinen Namen, sondern ein wenig eloquentes „Oaschloch“ aus dem Fenster seines babyblauen Kastenblechs gerufen. „Dann hast mich eh richtig verstanden!“ Ich lege auf. Mir ist ja gar nicht nach Kaffee. Ich hol mir jetzt einen Burger. (Guido Gluschitsch, derStandard.at, 14.07.2014)

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