Vor einigen Jahren wurde das Hotel Intercontinental auf eine Liste von neun Gebäuden in Wien gewählt, die man besser abreißen sollte. Jetzt soll es im Gegenteil einige Stockwerke höher werden - und einen fast doppelt so hohen Nachbarn bekommen.

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Zum geplanten Hochhaus zwischen dem Hotel Intercontinental, dem Wiener Eislaufverein und dem Konzerthaus gibt es bereits viele Stellungnahmen. Weit ausholende, wenn ausgewiesene Experten den Versuch unternehmen, Politiker mit fachlich ausgereizten Argumenten zu überzeugen, oder kurze, nüchterne, wie etwa Christian Kühns gelassen-präzise Analyse.

Aber es wäre nicht Wien, und es wären vor allem keine Wiener Architekten, wenn nicht auf ein noch so überzeugendes Argument ein anderer das eitle Gegenteil behaupten würde. So widerspricht der eine dem anderen oder gleich auch mal sich selbst. Ändern werden all diese Argumente nichts, weil es sich beim Vorhaben am Heumarkt (siehe den Kommentar von Gerhard Vana im STANDARD vom 16. Juni) gar nicht um Probleme des Städtebaus oder der Architektur handelt.

Wie bei anderen aktuellen Vorhaben an prominenten Standorten in Wien auch (Danube Flats, Krieau) geht es bei diesen Projekten nicht um eine sinnvolle Weiterentwicklung der Stadt in die Zukunft. Es geht vielmehr um gebaute Finanzspekulation. Einige besonders einflussreiche Investorengruppen machen sich mit ihrer wirtschaftlichen Potenz für politische Entscheidungsträger unentbehrlich und sich selbst damit zu Playern, die über den Regeln stehen, die für alle anderen gelten.

Der Vorgang ist stets ähnlich: Zunächst durchleuchtet man die Stadt nach Problempunkten, nach Orten, an denen ein Potenzial an Änderungsbedarf besteht (oder behauptet werden kann). Ist ein Ort mit "Fantasie" gefunden, ist der erste Schritt getan.

Ob das nun in die Jahre gekommene innerstädtische Hotelkomplexe, teuer zu erhaltende historische Sportstädten oder heruntergewirtschaftete Kinozentren sind, spielt dabei keine Rolle. Eingekauft wird ja nicht unter dem Aspekt des unternehmerischen Risikos, sondern aufgrund der Gewissheit, über den Einfluss zu verfügen, die gewünschten Entscheidungen herbeiführen zu können.

Was bei Bauprojekten bedeutet, nicht auf das Ergebnis unabhängiger Expertise angewiesen zu sein, sondern die gewünschte Widmung selbst vorschreiben zu können. Schließlich werden keine für Immobilienprojekte üblichen Renditen angestrebt. Hier geht es um "Big Money", um die sprichwörtliche goldene Nase.

Auf der einen Seite sind die Standorte als "Problemlagen" entsprechend günstig zu erwerben, bezeichnenderweise häufen sich in diesen Fällen Kontrollamts- oder Rechnungshofberichte über unerklärlich günstige Grundstückspreise, meist zulasten der Öffentlichkeit.

Schlechteres Lebensumfeld

Auf der anderen Seite werden keine argumentierbaren Umwidmungen angestrebt, sondern stets exorbitante Nutzungssteigerungen in der Größenordnung des Vielfachen der zum Zeitpunkt des Erwerbs vorhandenen Ausnutzbarkeit als Widmungsgewinn. Klingt banal und ist es auch, setzt aber die vorhergehende Absprache mit den Entscheidungsträgern voraus, womit diese Methode der Gewinnmaximierung nur wenigen und das nur außerhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbs offensteht.

Den Preis dieser Methode zahlen nicht nur die unmittelbar betroffenen BürgerInnen, sei es durch Verschlechterung ihres Lebensumfeldes, sei es durch Verlust von Freiraum. Auch demokratiepolitisch erfordert sie einen hohen Preis.

Denn natürlich ist allen Beteiligten klar, dass in diesen Fällen die bestehende Rechtslage (Ausnutzbarkeit entsprechend dem gültigen Flächenwidmungs- und Bebauungsplan) anlassbezogen verändert wird, während der sprichwörtliche Häuslbauer, aber auch viele andere, durchaus vernünftige Vorhaben keinerlei Chance haben, auch nur die geringste Änderung gewährt zu erhalten.

Da jedoch auch Politiker ans Recht gebunden sind und der § 1 (!) der Wiener Bauordnung für Widmungsänderungen unmissverständlich das Vorhandensein eines öffentlichen Interesses fordert, muss dieses unter den unglaubwürdigsten Verrenkungen konstruiert werden. Da werden schnell einmal in die Jahre gekommene Würstelbuden oder schmerzlich fehlende Bademodegeschäfte zur Begründung für die Notwendigkeiten von Hochhäusern in stabilen und funktionierenden Stadtquartieren.

Unter den damit befassten Magistratsbediensteten gibt es durchaus solche, die ihren Unmut darüber hinter vorgehaltener Hand drastisch äußern.

Dass die genannten Vorhaben genau zu einer Zeit hochkommen, da nun jene Politiker die Verantwortung für die Wiener Stadtplanung tragen, deren politische Karriere auf der Aufdeckung und Anklage derartiger Praktiken beruht, ist fast ein Treppenwitz der Geschichte. Nichts demonstriert die Macht der Investoren deutlicher als die Leichtigkeit, in der sie es schaffen, ihre schärfsten Kritiker zu Erfüllungsgehilfen ihrer Wünsche zu machen.

Die Bemerkung von Reinhard Seiß (Wer baut Wien?), dem profiliertesten Kenner und Kritiker der Vorgänge im hiesigen Baugeschehen, man werde die Qualität der Stadtplanung der Grünen eher an dem erkennen, was nicht gebaut wird, legt nahe, dass selbst jemand, der sich über diese Vorgänge wohl keinerlei Illusionen hingibt, von der Wirklichkeit noch überrascht wird.

Mit derartigen Möglichkeiten ausgestattet und sekundiert von einer smarten Klasse liberaler Stadtplaner ("Stadt lässt sich nicht planen"), die sich den Mächtigen dadurch andienen, indem sie ihre Profession gleich selbst abzuschaffen, haben die Profiteure in Wien leichtes Spiel.

Einziger Motor Geld

Man spricht heute aufgrund des Wachstums in Wien gerne von einer neuen Gründerzeit. Und obwohl deren Bautätigkeit im 19. Jahrhundert ungleich spekulativer war als die der Gegenwart, wurden gewisse Vorgaben der maximalen Ausnutzbarkeit wie selbstverständlich von allen eingehalten. Das Prinzip, bei aller Spekulation die Grundbedürfnisse des Stadtganzen nicht anzutasten, wurde, anders als heute, von allen respektiert, niemand war ausgenommen.

Allein eine Rückbesinnung auf eine Stadtplanung der Kontinuität, der Langfristigkeit und Verbindlichkeit könnte dem zerstörerischen Glücksrittertum Einhalt gebieten. Eine der wesentlichsten Eigenschaften von Stadtplanung, die Herstellung von Ausgleich und Gerechtigkeit, dürfte nicht länger verächtlich gemacht oder belächelt werden. Dazu braucht es Selbstbewusstsein und Bereitschaft zur Selbstbeschränkung.

Bis dahin gilt wohl das Diktum von Wolf Prix zum Hochhaus am Heumarkt: "Geld ist auch ein - wenn nicht der wichtigste - Motor einer Stadtentwicklung".

Hier ist es der einzige. (Christoph Mayrhofer, DER STANDARD, 12.7.2014)