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Von Greifswald nach Belo Horizonte.

Foto: APA/EPA/Brandt

Extrema sind meistens verpönt, auch auf dem Fußballplatz. Außer „extrem gut“ vielleicht. Wenn es beim deutschen Nationalspieler Toni Kroos einmal nicht läuft, wird ihm das Extrem des Zuwenig vorgeworfen. Unauffällig, mutlos oder gelangweilt heißt es von den Kritikern. Der 24-Jährige ist weder auf, noch neben dem Platz ein augenscheinlicher Vulkan, muss sich nach Niederlagen noch immer den Ruf des Phlegmatikers gefallen lassen. Spätestens seit diesem einen WM-Halbfinale gegen Brasilien sind Vulkane nicht mehr so gefragt.

Bei Toni Kroos läuft es seit einiger Zeit extrem gut. In Belo Horizonte zum Spieler des Spiels gewählt, ist Kroos abseits der Personaldiskussionen, im ohnehin diskussionsarmen deutschen Team die Konstante, die Unumgänglichkeit im Mittelfeld von Jogi Löws Mannschaft. Auch beim FC Bayern besinnt man sich seit einigen Jahren auf die Besonnenheit von Toni Kroos. Drei Meistertitel, darunter ein Triple und zwei Double, sind im Trophäen-Rucksack des gebürtigen Greifswalders. Im Nationalteam ist er gesetzt, wie sonst nur Kapitän Lahm oder Goalie Neuer.

Blumen und Wutausbrüche

Man muss also kein Vulkan sein, um Spiele auf dem Niveau eines WM-Halbfinales entscheiden zu können. Diese ersten 30 Minuten, die die Fußballwelt in ungläubiges Erstaunen versetzten, standen im Zeichen von Toni Kroos. Zwei Treffer erzielte er selbst, das 1:0 bereitete er mit einem Eckball vor und auch das Tor von Miroslav Klose entsprang der Einleitung von Kroos. Schon vor dem Spiel wurden seine Leistungen beim Turnier in Brasilien gewürdigt. Die niederländische Fußball-Instanz Johan Cruyff streute Blumen: "Der Junge macht alles gut. Seine Ballbehandlung ist fast perfekt. Immer haben seine Pässe die richtige Geschwindigkeit. Schön zu sehen." Neben dem sicheren und cleveren Passspiel, zeichnet Kroos auch die überragende Schusstechnik aus: Seine Kracher aus der Distanz wirken wie Wutausbrüche, ohne Vorzeichen, aber immer zielsicher Richtung gegnerisches Herz.

Durchgebrochen war Toni Kroos schon länger. Seine bisherige Karriere erinnert aber eher an eine beschauliche Gondel-, denn eine rasante Achterbahnfahrt. Bergauf ging es stetig, Zweifel an seinem Talent hatte es nie gegeben. Der in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern geborene Kroos galt in seinen Jugendjahren als Riesentalent. 2006 wechselte er als 16-Jähriger von Hansa Rostock in die Jugendabteilung von Bayern München, ein Jahr später wurde er bei der U17-WM in Südkorea zum besten Spieler gewählt.

Die Gondel nach Madrid

Im September 2007 kam er unter Ottmar Hitzfeld zu seinem Bundesliga-Debüt. Zum Stammspieler avancierte Kroos allerdings erst in der Saison 2010/11 nach seiner Rückkehr aus Leverkusen. Eineinhalb Jahre war er ins Rheinland verliehen worden, wo Kroos mit Jupp Heynckes auf seinen größten Förderer stieß. Das Duo war später beim FC Bayern wieder vereint, bei dem 2013 mit dem Triple-Gewinn die Krönung gelang.

Auch im Nationalteam verlief der Aufstieg zögerlich. Zwar debütierte er bereits im März 2010 gegen Argentinien, das volle Vertrauen von Löw spürte er allerdings lange Zeit nicht. Obwohl Stammspieler in der Qualifikation für die EM 2012, setzte Löw in Polen und der Ukraine nicht auf Kroos. Als Löw ihn im Halbfinale gegen Italien überraschend von Beginn an brachte, misslang der Schachzug. Andrea Pirlo zog über Toni Kroos hinweg, Italien schickte Deutschland nach Hause.

In Brasilien strahlt nun die Sonne heller denn je. "Die Dinge, die er macht, haben Hand und Fuß", lobte Löw den einzigen Ostdeutschen in der Start-Elf. Schon vor dem Halbfinale gegen Brasilien vermeldeten Medien die nächste Gondelstation: Nachdem sich Kroos und Bayern München nicht auf eine vorzeitige Vertragsverlängerung einigen konnten, steht der Mittelfeldspieler angeblich kurz vor einem Wechsel zu Real Madrid. Auffällige 25 Millionen Euro Ablöse sind die Dienste des manchmal Unauffälligen dem aktuellen Champions-League-Titelträger wert. Bestätigungen oder Dementi verschob der 24-Jährige auf die Sintflut nach dem Finale. Alles andere wäre auch extrem erstaunlich. (hag/APA, 11.07.2014)