Bagdad/Wien - Al-Muthanna - dessen schon Mitte Juni erfolgte Einnahme durch den "Islamischen Staat" (IS) der irakische Uno-Botschafter dem Uno-Generalsekretär meldete - war in der Tat die wichtigste Anlage zur Chemiewaffenherstellung des Irak unter Saddam Hussein. Dass laut Botschafter Muhammad al-Hakim der Irak nun "seiner Verpflichtung zur Zerstörung von Chemiewaffen nicht nachkommen kann", ist etwas sophistisch. Denn "Chemiewaffen" in diesem Sinne gibt es im Irak nicht mehr, und die Zerstörung des in al-Muthanna verbliebenen Materials war den Irakern offenbar auch bis zum Einmarsch des IS kein großes Anliegen.

Die in al-Muthanna übriggebliebenen Materialien bestehen aus in zwei versiegelten Bunkern abgelegten Resten von zerstörter Munition aus den 1980er-Jahren, als der Irak im Krieg gegen den Iran massiv C-Waffen einsetzte. Man kann davon ausgehen, dass die Inhaltsstoffe, wie Sarin, mittlerweile degradiert sind. Das Material wurde auch teilweise dekontaminiert, aber es kann noch kontaminierte Überreste geben plus ebenfalls giftige Rückstände, die von der Dekontamination stammen. Das heißt, die toxischen Materialien sind für jene, die sie finden und plündern, gefährlich, aber für einen militärischen Einsatz nicht brauchbar.

Der Irak ist 2009 der Chemiewaffenverbotskonvention beigetreten - und hat die entsprechenden Verpflichtungen übernommen -, aber das irakische Chemiewaffenprogramm wurde bereits in den 1990er-Jahren aufgerollt und die Waffen abgerüstet. Al-Muthanna war schon im Golfkrieg von 1991 stark beschädigt worden, die Uno-Inspektoren der Unscom (UN Special Commission) setzten das Zerstörungswerk mit einem Uno-Mandat fort.

Sie mussten allerdings den Irak 1998, noch vor Abschluss ihrer Arbeit, verlassen. Saddam Hussein ließ aber auch danach die Arbeit an den Massenvernichtungswaffenprogrammen nicht wieder aufnehmen - die trotzdem zum vorgeschobenen Kriegsgrund von 2003 wurden. Auch nach der US-Invasion wurde in al-Muthanna geplündert, damals von Zivilisten. Niemand hinderte sie daran.

Im sunnitischen Gebiet, das vom Vormarsch der Jihadisten des Islamischen Staats betroffen ist, liegen zahlreiche Anlagen, die mit den früheren Waffenprogrammen zu tun haben. In Tarmiya etwa, wo der IS die Verteidigungslinie der irakischen Armee durchbrach, war eine Anlage für die Urananreicherung, ebenso in dem ebenfalls von den Jihadisten kontrollierten Sharqat. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 10.7.2014)