Lucie Boulay in "La vieille et son pianiste"

Foto: wellenklaenge

Lunz am See - Es ist nicht so, dass ein unvorsichtiger Schritt gleich bedeutet, sturzartig Bekanntschaft mit dem Seewasser machen zu müssen. Ein bisschen Extrakonzentration fordert das Betreten der Bühne in Lunz am See wohl aber doch - ob man nun Bürgermeister ist, der unpeinliche Eröffnungsworte kredenzt, oder ob man Teil eines Celloquartetts ist. Das "Wellenklaenge"-Festival ist ja nicht nah am Wasser gebaut, es schwimmt auf selbigem. Hans Kupelwiesers flexible architektonische Konstruktion dient in malerischer Landschaft als 50-Quadratmeter-Schwimminsel. Wie die Sonne sich jedoch zur Ruhe begibt, mutiert sein Werk zur Bühne mit Tribüne.

Puppe auf dem Seil

Auf selbiger gilt es also, sensibel zu balancieren. Doch zur Eröffnung hat man mit der Nouveau-Cirque-Gruppe Le Boustrophedon aus Toulouse Könner eingeladen, die Äquilibristik radikaler und witziger definieren, als es die Bühne je könnte. Pianist Daniel Masson vermag zwar auch das Anlegen eines Sakkos zum subtilen Sketch zu formen. Seine Verulkung von Musikerritualen ist jedoch nur das Aufwärmpräludium zu den Künsten von Lucie Boulay.

Ihr Gesicht ist schwarz verhüllt. Dafür hat sie vor den Nabel ein munteres Puppengesicht geschnallt, mit dem sie gestisch verschmilzt. So erlebt man die Musikalität einer reifen Puppendame anhand einer Melodica, die Klavierakkorde melancholisch würzt, und vergisst dies gleich wieder fast - angesichts der Akrobatik des Programms La vieille et son pianiste: Es tanzt Boulay plötzlich auf drei kopfstehenden Gläsern im Sinne des zierlichen Spitzentanzes. Und passiert dies noch auf dem sicheren Fundamt eines Klavierdeckels, vollführt sie später einen tollkühnen Puppenseiltanz. Als würde sie über dem Seewasser schweben, wirkt das in seiner pannenfreien Elégance.

Beginn mit Extracello

Der Eröffnungsabend der "Wellenklaenge" bot gewissermaßen auch musikalische Stilseiltänze: Die Formation Extracello (Edda Breit, Melissa Coleman, Margarethe Deppe und Gudula Urban) interpretiert die ehrwürdige Spielform des Streichquartetts nicht nur ungewohnt, also cellomäßig. Auch vom Repertoire her ist Durchlüftung Programm: Da hört man Ástor Piazzollas Libertango in hitziger Version wie auch Johann Sebastian Bachs Präludium aus der 1. Solocellosuite - nur eben auf vier Instrumenten umgesetzt und dann frei verarbeitet. Da sind aber auch Dylans Just Like a Woman oder Carlos Jobims Bossa-Klassiker One Note Samba.

Diese Repertoirereise, die von musikweltanschaulicher Offenheit zeugt, war im Sinne von Pianist Marino Formenti, der heuer von Festivalchefin Suzie Heger als Artist in Residence geholt wurde. Er wird in einer Art Laborsituation sein im Film Schubert und ich porträtiertes Projekt (mit Laien Schuberts Lieder erarbeiten) fortsetzen. Darüber sprach Formenti wie auch davon, dass "die Klassik vom Leben getrennt sei" (wogegen er auch mit diesem Projekt ankämpft), bis er sich zu den Tasten begab, um Schuberts Du bist die Ruh in Klavierfassung zu hauchen. Ihm schlossen sich die Rapper Esra und Enes Özmen mit Protestworten an. Hernach, beim Leiermann, nahm auch Extracello an der kleinen Winterreise-Session teil. Sympathisch. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 7.7.2014)