Stimmt, es gibt Wichtigeres als den Text der Bundeshymne. Die Aktion von Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek mag nicht besonders geschickt gewesen sein: Aber niemand, der seine Meinung kundtut, hat so viel Häme und Hass verdient - auch kein Politiker, keine Politikerin.

Die kontroversen Reaktionen auf das Auslassen der "großen Töchter" -Passage durch Andreas Gabalier zeigen, wie umstritten das Thema Gleichstellung in Österreich noch immer ist. Denn darum geht es im Kern: dass in der Hymne und in der Gesellschaft nicht nur die Leistungen der "großen Söhne" sichtbar gemacht werden, sondern auch jene von Frauen - in einem Atemzug, ganz selbstverständlich. Das hat mit Gerechtigkeit zu tun, mit gleichen Chancen, Rechten und Pflichten. Gleichberechtigung sieht das Recht bereits vor, es geht vor allem um Gleichbehandlung. Dazu gibt es Fakten.

Zum Beispiel bei der Entlohnung: Österreich landet beim Bruttostundenverdienst laut EU-Statistikbehörde auf dem vorletzten Platz. Der Unterschied beträgt blamable 23,4 Prozent. Im EU-Durchschnitt ist die Differenz mit 16,4 Prozent noch immer hoch, aber deutlich geringer.

Oder die Verteilung der Arbeitszeit: 46,9 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit, aber nur 11,3 Prozent der Männer, von denen nur 4,5 Prozent in Karenz gehen. Der höhere Verdienst von Männern und Probleme bei der Kinderbetreuung sind Hauptgründe dafür, dass Frauen nicht Vollzeit arbeiten. Das wirkt sich wiederum auf Pensionsbezüge und Karrierechancen von Frauen aus.

Wer die Postings auf der Facebook-Seite der Ministerin verfolgt hat, fand nicht nur Drohungen gegen Heinisch-Hosek als Person, sondern auch viele Einträge, die Frauen als "Heulsusen" oder "sexuell frustriert" darstellten. Gerade im Netz tummeln sich viele sogenannte Antifeministen, aber auch Frauen sind bei der Wortwahl oft nicht zimperlich, wenn es um das Thema Gleichbehandlung geht. Als im Standard zum Weltfrauentag acht Artikel - darunter der große Kommentar - und ein Meinungsbeitrag eines Männerforschers als "Kommentar der anderen" erschienen, gab es ähnlich heftige Reaktionen wie auf die Facebook-Aktion der Ministerin, persönliche Angriffe und Drohungen inklusive. "Schande" war noch die netteste Bezeichnung, die Begriffe "liquidieren" und "entfernen" kamen mehrfach vor. Fast alle Reaktionen kamen von Frauen, unterschrieben mit vollem Namen. Wenn man einen Text publiziert, der sich kritisch mit dem Binnen-I auseinandersetzt, und dann eine Gegenposition veröffentlicht, die nicht jener Beitrag ist, den eine Frauenorganisation angeboten hat, dann wird der Vorwurf der Zensur erhoben.

Warum kann man mit Themen, bei denen es um Gleichbehandlung geht, nicht weniger emotional umgehen? Warum können Männer nicht auf frauenfeindliche Witze verzichten, wenn es um Gleichstellung geht? Warum sind Frauen Verräterinnen, wenn sie nicht für Cis-Männer oder die Frauenquote ohne Wenn und Aber kämpfen? Warum gibt es bei diesem Thema nur dafür oder dagegen?

Die Konzentration auf die Problembereiche statt emotionaler Debatten über Nebenschauplätze könnte eine Lektion aus der Diskussion über Hymnen und Tussikratie sein. Symbolische Themen sind wichtig, aber die konkreten Themen sind wichtiger. Damit das Ziel Gleichbehandlung nicht nur ein Recht ist, sondern Realität - in der Politik, bei Kollektivvertragsverhandlungen, in der Beziehung. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 5.7.2014)