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Gegen Ex-Präsident Nicolas Sarkozy wurde nach wochenlangen Ermittlungen Anklage erhoben; unter anderem soll er unter falschem Namen belastende Telefonate geführt haben.

Foto: AP / Geert Vanden Wijngaert

Mick Jagger sollte vor Neid erblassen: Die Freiluftbühne des Trocadéro, mit dem Eiffelturm im Hintergrund, war die beste in Paris. In den VIP-Räumen standen Designersofas aus weißem Leder. Die Fans erhielten zehntausende Fähnchen. Und die Musikanlage war "für ein Rolling-Stones-Konzert geeignet", erinnerte sich ein Mitarbeiter. All das galt nur einem Mann: Nicolas Sarkozy, Präsidentschaftskandidat der französischen Konservativen. Der Auftritt soll ihm laut besagtem Mitarbeiter so gut gefallen haben, dass er "wie berauscht" erklärt habe: "Jetzt werden wir jeden Tag ein solches Meeting veranstalten!"

Das war im Mai 2012. Im Sarkozy-Lager herrschte, wie es Le Monde nannte, "la folie des grandeurs" - Größenwahn. Die Quittung erfolgte an der Wahlurne, als die Franzosen lieber "Monsieur Normal" François Hollande wählten, weil sie genug hatten von ihrem "Président Bling-Bling".

Und die Zeche bezahlte die konservative UMP. Sarkozys Wahlkampfausgaben beliefen sich auf 39 Millionen Euro, wie das Infoportal Mediapart ausrechnete. Das sind 17 Millionen mehr als der erlaubte Plafond von 22 Millionen. "La folie des grandeurs" hatte den Wahlmonarchen blind gemacht. "Niemand wagte es, Stopp zu sagen", sagte sein Wahlkampf-Vizechef Jérôme Lavrilleux unter Tränen. Vor laufenden Kameras gestand er, dass er mitgeholfen hatte, die Abrechnung zu frisieren. Millionenbeträge wurden einfach in die UMP-Buchhaltung übertragen und dort als Ausgaben für erfundene Anlässe kaschiert. Ein klarer Fall von Betrug.

Gegen Lavrilleux läuft ein Verfahren. Und gegen Sarkozy? Der will von nichts gewusst haben. Doch die Justiz verfügt über eine SMS des Inhalts: "JFC hat dem PR davon erzählt." "JFC", das war Parteichef Jean-François Copé; und "PR" steht für "Président de la République", also Nicolas Sarkozy.

Siebte Affäre des Expräsidenten

Der hat nun eine siebente Affäre am Hals - benannt nach der parteinahen Consultingfirma Bygmalion. Damals, im Élysée-Palast, war "PR" schon umstritten, aber noch unberührbar. Er nannte die Untersuchungsrichter "Erbsen" und wollte deren Berufsstand, als sie begannen, ihm zu nahe zu treten, per Dekret abschaffen. In seinem unstillbaren Hunger nach Anerkennung, Macht und Selbstbespiegelung hatte Sarkozy im Élysée laufend Umfragen über sein Image erstellen lassen - auf Staatskosten. Dem Mitte-Politiker Bernard Tapie verhalf er im Abtausch für dessen Schützenhilfe zu einem millionenschweren Schiedsgerichtsurteil - auch dafür kamen die Steuerzahler auf.

Auch für Muammar al-Gaddafi ließ Sarkozy 2007 in Paris den roten Teppich ausrollen. Danach kursierten Gerüchte, er habe sich damals seine erste Wahlkampagne vom libyschen Diktator mitfinanzieren lassen. Oder doch von der reichsten Französin, der L'Oréal-Erbin Liliane Bettencourt? Beweise gibt es nur gegen Sarkozys Mitarbeiter - und die müssen den Kopf hinhalten.

Nach seiner Abwahl wurde Sarkozy vorsichtiger. Für diskrete Gespräche mit seinem Anwalt kaufte er ein Handy auf den Namen eines ehemaligen Schulkollegen, Paul Bismuth. Ihn zu fragen oder auch nur darüber zu informieren, erachtete er für unnötig. Rücksicht war nie Sarkozys Ding. Seine Anhänger rechtfertigen das mit seinem "culot", seinem bonapartistischen Draufgängertum. Das sei noch harmlos im Vergleich zu Napoleon: Der habe sogar einen Staatsstreich inszeniert, die Justiz gebeutelt und in Paris 60 von 73 Zeitungen schließen lassen.

Millionen verprasst

Sarkozy opferte auf seinen Schlachtfeldern nicht Millionen von Menschenleben; in seiner Unverfrorenheit organisierte er "nur" eine Sammlung für jene Wahlkampfgelder, die er aus dem Fenster geworfen hatte. Wähler und Fans brachten brav elf Millionen Euro zusammen. Heute erfahren sie, wie sehr Sarkozygeprasst hat. Aber das war eigentlich nicht schlimmer als vorher im Élysée: Während seiner fünf Jahre dort nahm die Staatsschuld Frankreichs um 500 Milliarden Euro zu.

Einer aktuellen Umfrage zufolge lehnen zwei Drittel der Franzosen seine Rückkehr in die Politik ab.

In einem TV-Interview sagte Sarkozy am Mittwochabend, er habe nie gegen die Prinzipien des Rechtsstaats verstoßen, und prangerte eine "politische Instrumentalisierung eines Teils der Justiz" an. Um Frankreich geht es ja nicht. Es geht um ihn. Nur um ihn. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 3.7.2014)