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Eine Auszeit nehmen am Musikfestival. In Krisenzeiten steigt der Druck auf Jugendliche.

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Beate Großegger: "Kinder der Krise", Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2014

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STANDARD: Sie sind Nesthocker, ideologiefrei, surfen im Internet, statt sich an Diskussionen zu beteiligen. Das sind nur drei Eigenschaften, die man Jugendlichen heute zuschreibt. Woher kommt es, dass man meint, Jugendliche seien oberflächlicher als früher?

Großegger: Dass das "Hotel Mama" boomt, dass Jugendliche großteils ziemlich ideologiefrei sind und dass die Generation Web 2.0 das Prinzip "always on" durchaus exzessiv lebt, das stimmt ja alles. Es bringt das, was an der heutigen Jugend langweilig ist, aber nicht auf den Punkt. Langweilig ist etwas anderes, nämlich der Trend zu leidenschaftsloser Überanpassung, den wir bei Jugendlichen beobachten: Man macht mit, aber nicht aus Überzeugung oder großer Loyalität gegenüber dem System, sondern einfach deshalb, weil es der normale, einfache Weg ist.

STANDARD: Einerseits werden Kinder heute mehr gehört, in der Schule ist das Verhältnis zum Lehrer nicht mehr so autoritär. Gleichzeitig heißt es, die Jugend hat es schwerer denn je. Was stimmt?

Großegger: Ich würde sagen: Sie werden mehr gehört und dennoch nicht besser verstanden. Man sollte jedoch nicht erwarten, dass verständnisvolle und fachlich engagierte Lehrer und Lehrerinnen all das ausgleichen können, was Jugendliche am Bildungssystem als problematisch empfinden. Ich denke da an den Standardisierungswahn, der eine neue Norm markiert und sehr an den Bedürfnissen der Schüler und Schülerinnen vorbeigeht.

STANDARD: Der Jugend fällt es schwer, Fuß zu fassen, vor allem wirtschaftlich. Welche Auswirkungen hat das?

Großegger: Wir beobachten heute, dass junge Menschen in lebensstilistischer Hinsicht früh selbstständig werden, finanziell aber oft vergleichsweise lange von den Eltern abhängig sind. Dass späte Familiengründung eine logische Folge ist, glaube ich allerdings nur bedingt. Natürlich gilt auch aus Sicht der Jugend, dass man sich Familie leisten können muss. Das ist für junge Leute allerdings nicht das wichtigste Argument. Die meisten denken sich: "Solange ich jung bin - sprich: bevor ich Familie gründe -, möchte ich das Leben erst einmal richtig genießen."

STANDARD: Wie stehen Österreichs Jugendliche im Vergleich zu anderen Ländern da?

Großegger: Was Berufschancen betrifft, ist Österreich mit den Krisenländern im Süden Europas nicht vergleichbar. Österreichische Jugendliche haben wohl auch kaum eine Vorstellung davon, wie es ist, wenn man aufgrund nicht vorhandener Erwerbsperspektiven das eigene Land verlassen und sich irgendwo in der Ferne eine Zukunft aufbauen muss. Die Jugendarbeitslosigkeit ist bei uns in Österreich erfreulich gering, und darauf ist man auch stolz.

Dennoch gestaltet sich der Übergang ins Vollerwerbsleben oft nicht so leicht, wie man es sich wünschen würde. Das gilt gerade auch für gut ausgebildete junge Leute, die man aus der öffentlichen Debatte als "Generation Praktikum" kennt. Eltern sprechen von ihren "fast erwachsenen Kindern", wobei das nichts anderes heißt, als dass die Kinder trotz abgeschlossener Ausbildung auf die finanzielle Unterstützung von Mama und Papa angewiesen sind. Viele wohnen noch zu Hause - bis sie sich im Berufsleben etablieren können.

STANDARD: In Ihrem Buch wird das Erscheinungsbild Jugendlicher thematisiert. Was hat sich hier geändert durch die Krise? Man hat den Eindruck, das Erscheinungsbild ist vielschichtiger geworden?

Großegger: Die Vielschichtigkeit, die Sie ansprechen, hat mit der Krise im Grund nicht wirklich viel zu tun, sondern ist eine Folge gesellschaftlicher Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse. In den letzten Jahrzehnten ist es zu einer enormen Vervielfältigung der gesellschaftlich akzeptierten Lebensentwürfe gekommen.

Zumindest auf Lebensstilebene gilt: Fast alles ist heute möglich. Was die Krise verändert hat, bezieht sich eher auf das soziale Gefüge unserer Gesellschaft. Jugendliche haben das Gefühl, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer und die soziale Bruchkante damit schärfer wird. Sie liegen damit ja auch nicht ganz falsch.

STANDARD: Weil Sie Lebensentwürfe ansprechen: Gibt es mehr Toleranz bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen?

Großegger: Die heutige Jugend gibt sich im Vergleich zu früher toleranter - vor allem die bildungsnahen Milieus. Da heißt es: Jeder soll so sein können, wie er will. Und wer ausprobieren will, der soll auch ausprobieren. Interessant ist, dass diese Jugend im Arrangement ihrer Beziehungen trotzdem oft sehr traditionell bleibt - das zeigt sich auch bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen.

STANDARD: Wie wirkt sich die Schnelllebigkeit in Zeiten von Handy, Facebook und Co aus?

Großegger: Die digitale Jugend ist "always on". Das heißt, man ist immer erreichbar und will nur ja nichts verpassen. Im Zeitalter des mobilen Internets treibt die Jugend im Strom der Echtzeitkommunikation. Und sie ist natürlich nicht nur Adressatin von Botschaften, sie sendet auch selbst permanent. Diese Endlosschleife der Kommunikation empfinden viele mittlerweile als nervig. Facebook, WhatsApp und Co sind aber bereits so sehr zur Gewohnheit geworden, dass es den meisten schwerfällt, sich auch einmal auszuklinken. Erwachsene sind da nicht viel anders, das "Smartphone-Fasten" beherrschen auch die Erwachsenen großteils nicht.

STANDARD: Mitmachen bei politischen Parteien scheint hingegen "out" zu sein. Zwar haben wir in Österreich mit Sebastian Kurz einen sehr jungen Außenminister - er ist jedoch eher die Ausnahme.

Großegger: Ja, Parteien sind total "out". Aus Sicht der Jugend stehen Parteien für eine Kultur der alten Männer, in der junge Leute meist nicht viel zu sagen haben. Die wenigen jungen Politiker, die es auf die große politische Bühne geschafft haben, haben dieses Bild bislang nicht zu ändern vermocht.

Standard: Sie kommen zu dem Schluss, dass die Jugendlichen die großen Verlierer der Krise sind.

Großegger: Jugendliche gehen heute in eine ziemlich unsichere Zukunft. Die große Zeit des Wachstums ist vorüber. Gleich nach der Ausbildung in einen halbwegs sicheren und angemessen bezahlten Vollzeitjob einzusteigen ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Und auch der Wohlfahrtsstaat ist im Umbruch. Gewohnte Sicherheiten bröckeln. Junge Menschen wissen schlicht und einfach oft nicht, ob bzw. wie gut sie von der staatlichen Pension, die sie einmal bekommen, werden leben können. Die Politik sucht zwar nach Lösungen. Dabei hört man aber immer wieder denselben Satz: "Wir müssen sparen!"

Standard: Bietet die Krise auch eine Chance für Jugendliche?

Großegger: Warum gehen wir davon aus, dass die Jungen die Krise in eine Chance ummünzen sollen? Warum kehren wir nicht vor unserer eigenen Tür? Wieso fragen wir nicht: Welche Chance bietet die Krise für die Politik? Wir alle müssen uns langsam mit dem Gedanken arrangieren, dass die Wachstumsideologien, die das Leben der Menschen im 20. Jahrhundert prägten, ausgedient haben. (Rosa Winkler-Hermaden, DER STANDARD, 2.7.2014)