Debatte um Entfernung von Grazer Gedenkprojekt aus öffentlichem Raum

Nationalsozialismus/Gedenkstätten/Kulturpolitik/Steiermark - ÖVP und FPÖ wollen Tafeln von Jochen Gerz demontieren bzw. transferieren - Proteste

Graz - Ein Streit ist in der Grazer Stadtregierung über ein temporäres Kunstprojekt im öffentlichen Raum zum Thema Machtmissbrauch in der NS-Zeit ausgebrochen. Die Mehrheit aus ÖVP und FPÖ will die Gedenktafeln - wie vorgesehen - entfernen, SPÖ, KPÖ und Grüne wollen den so genannten Gestattungsvertrag  (regelt Verbotsverzicht und Verzicht auf Durchsetzen von Unterlassungsansprüchen, Anm.), der am Montag abgelaufen ist, verlängern.

Das Projekt von Jochen Gerz "63 Jahre danach", entstanden mit Einbindung der Bevölkerung, wurde im März 2010 an mehreren Standorten installiert. "Ein Gedenkprojekt dieser Art kann man nicht sang- und klanglos demontieren. Es braucht eine Ausbegleitung", plädierte die Grüne Kulturstadträtin Lisa Rücker für ein sensibles Vorgehen. Sie wollte im Verein mit dem Menschenrechtsbeirat eine Verlängerung bis 2018 erreichen.

Das Konzept "63 Jahre danach"

Die Arbeit von Gerz folgte einem Auftrag des Landes Steiermark, ein Gedenkzeichen zum Machtmissbrauch in der NS-Zeit zu entwickeln. Die konzipierte Arbeit des deutschen, heute in Irland lebenden Künstlers war zweiteilig. Im Dezember 2008 wurde die Inschrift „ICH SIGFRIED UIBERREITHER LANDESHAUPTMANN“ in den Bogen des mittelalterlichen Grazer Burgtors eingeschrieben (Der Standard berichtete); im März 2010 das Projekt „63 Jahre danach“ realisiert. Unter Einbeziehung des Votums der Öffentlichkeit wurden 20 Bild/Text-Objekte ausgeführt und an elf Orten in Graz (u.a. Eisernes Tor, Karmeliterplatz), sowie in 8 steirischen Gemeinden (u. a. Feldbach, Gleisdorf, Leoben) installiert. Schon damals fand das Projekt nicht ungeteilte Zustimmung: Die Gemeinden Bad Mitterndorf, Haus im Ennstal, Neumarkt in Steiermark und Rohrmoos-Untertal lehnten es ab, die Tafeln anzubringen.

Besonders am Erinnerungsprojekt war der Umstand, dass kein traditionelles Objekt bzw. Denkmal geschaffen wurde, sondern an dessen Stelle ein öffentlicher und via Medien transportierter Diskussionsprozess trat. Eine Forschungsgruppe wählte Fotos aus der NS-Zeit aus, Landtagsabgeordnete verfassten Texte dazu. Nach jedem Teilschritt wurden die Zeitungsleser gebeten, auszuwählen; auch in die Wahl der Standorte war die Bevölkerung eingebunden.

Gegen eine "Schleifung" des Projekts sprachen sich neben Lisa Rücker auch Künstlergruppen und Zeithistoriker sowie Alt-Bürgermeister Alfred Stingl und Landesrat Christopher Drexler (ÖVP) aus. Anders FPÖ-Stadtrat Mario Eustaccio: Er wies darauf hin, dass man das Projekt schon mehrfach verlängert habe und die "Möblierung des öffentlichen Raums auch an seine formalen Grenzen" stoße. Deshalb schlage er vor, die Gedenktafeln in den Skulpturenpark an den Schwarzlsee zu transferieren. Das Straßenamt werde nun die Organisatoren per Bescheid auffordern, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, hieß es ergänzend aus dem Büro Eustacchio. (APA, kafe, derstandard.at, 1. 7. 2014)