Unter dem Teppich verschwinden: Sofia Hultén zeigt zwölf Versuche, sich in einer Büroumgebung zu verstecken.

Foto: Bildrecht, Wien, 2014, Courtesy die Künstlerin und Konrad Fischer Galerie Düsseldorf / Berlin

Wien - Einen "Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet", nennt Walter Benjamin den tiefen Zustand der Langeweile, dem Kreativität und Neues entspringt. Aber für die Hyperaktivität und ihre Schwester Multitasking ist der Traumvogel ein faules, sich der von Hesiod beschriebenen Trägheit schuldig machendes Federviech. Es folgt ein zweites Aber.

Die Vertreter dieses Abers, darunter etwa der Philosoph Byung-Chul Han, entlarven die hektischen Schwestern als Spezies der Wildnis, die lediglich fähig ist, Vorhandenes zu reproduzieren: "Die kulturellen Leistungen der Menschheit verdanken wir einer tiefen kontemplativen Aufmerksamkeit," so Han.

Um dieses gesellschaftliche Tabu, die Unmöglichkeit des nachdenklichen Innehaltens in einem Hamsterrad aus Produktivität und Performance, kreist auch die Ausstellung Neue Wege nichts zu tun in der Kunsthalle Wien (Kuratorinnen: Vanessa Joan Müller, Christina Ricupero). Obwohl man dort eher mit der ersten Lektion beginnt: dem Aufruf zur Verweigerung. Ein Widerstand gegen sich selbst.

Denn das Nichtstun ist in der neoliberalen Gesellschaft - im Zeitalter von Eigeninitiative und Selbstverantwortung - zuallererst mit sich selbst zu verhandeln. Würde es nutzen, sich unter schmutziggrauer Büroauslegeware zu verstecken? Sich mit Kartons aus dem Altpapier unter dem Schreibtisch zu verbarrikadieren oder mucksmäuschenstill ins Regal zu verräumen? Die innere Emigration scheint eher Fluchtweg einer überwundenen Kontrollgesellschaft zu sein. Aber Sofia Hulténs Video ist sehnsuchtsvoller Ausdruck, dem Irrsinn entkommen zu wollen, und bezieht seinen Witz aus der Vielfalt gefundener Schlupflöcher.

Unsichtbare Schläfer

Nahezu unsichtbare Schläfer sind auch Robert Breers motorisierte Skulpturen: Sponge ("Schwamm") heißen diese unscheinbaren Nichtsnutze, die sich so langsam durch den Raum bewegen, dass nur derjenige sie erkennt, der selbst entschleunigt. Einen Perspektivwechsel ermöglichen auch Marina Fausts Travelling Chairs, selbstgebaute Rollsessel, mit denen man - passiv - durch den Raum bewegt werden kann.

Es gilt, dem Nichts als Leere und Umkehrung von Existenz das Bedrohliche zu nehmen: "Heute habe ich nichts geschrieben. Macht nichts", notierte Dichter Daniil Charms 1937 selbstverzeihend in sein Tagebuch. Mit der Variation dieses Satzes provoziert Natalie Czech die innere Haltung: Vom selbstzerfleischenden "Today I wrote. Doesn't matter" bis zum Mantra "I do matter".

Und wem das Selbstbewusstsein zum Nichtstun fehlt, der holt sich Argumente: Alejandro Cesarco hat dazu ein Buch herausgegeben. Obwohl: diese Form geistiger Aktivität besteht nur als Behauptung. Präsentiert wird lediglich das Inhaltsverzeichnis dieser imaginären Anthologie mit Aufsätzen von Paul Lafargue, dem Schwiegersohn von Karl Marx, der 1893 die Polemik Recht auf Faulheit verfasste. Auch Dare to be lazy von Roland Barthest oder Corinne Maiers Hello Lazyness sind dort gelistet. Die Lektüreliste ist eine reine Geste des Verweisens. Das passt freilich zum Nichtstun. Trotzdem deutet die Kunst von sich weg, zeigt dorthin, wo die wahren – über den oberflächlichen Schmäh hinausgehenden – Inhalte zu finden sind.

Bartlebys Radikalität

Patron vieler Arbeiten ist der vielbeschworene Bartleby Melvilles. Während sich dessen "I would prefer not to" bei Etienne Chambaud in einem nicht leuchtenden Neonschriftzug erschöpft, kommt der Spielfilm Ein Mann, der schläft (1974) von Georges Perec und Bernard Queysanne der Radikalität Bartlebys schon viel eher nach. Denn letztendlich stirbt die Figur Melvilles, weil sie auch den Selbsterhaltungstrieb negiert.

Sich der Kunst als Spekulationsobjekt zu entziehen, das gelang Charlotte Posenenske: Sie bot ihre Werke in unlimitierter Auflage und zum Selbstkostenpreis an. Karl Holmquist hat diese Idee in Form eines Zitats in die Schau integriert. Deren Dilemma ist allerdings, dass die Künstler selbst ganz tief in der sich ausbeutenden Produktivitätsfalle sitzen. Sie zeigt sich in einer bunten Geschäftigkeit des Kunstbetriebs und wird formal allein durch das schwarze und weiße Display gebrochen. Inproduktivität hat – das zeigen auch die versammelten Arbeiten – keine Farbe.

In der Nüchternheit der Ausstellungsarchitektur schlummert nur ein MacBook, wie das pulsierende Lichtsignal, ein “atmendes” Auge am Gerät, verrät (Edith Dekyndt: Perpetual Room). Wesen, wie der erschöpfte Hase aus Cosima von Bonins Fatigue Empire (2010 im Kunsthaus Bregenz) hätten sich hier nicht wohlgefühlt. Der schlummerte wenig später in ihrer Personale Far niente ("Nichts tun") im Witte de With in Rotterdam, kuratiert von Nicolaus Schafhausen, dem jetzigen Kunsthallen-Chef. Trotz des ähnlichen Titels ist die Schau aber kein Prolog für die Bonin-Personale im Herbst. Denn die findet nebenan statt – im Mumok.

Nachdenken bitte anderswo

Als Zuflucht des Müßiggängers ist Neue Wege nichts zu tun wirklich nicht geeignet. Das Licht ist zwar gedimmt, die Stimmung schläfrig, aber verlangsamt wird hier nicht – und das liegt auch daran, dass man den Besuchern keine entsprechenden Angebote macht (abgesehen von Medidations-Workshops). Rasten ist auf den großen Display-Sockeln nicht erlaubt. Hier wird – so wie immer – Kunst als Ware konsumiert. Zum Nachdenken über Strategien der Inproduktivität und Verlangsamung sollte man sich besser woanders hin verzupfen.

Das ist zwar nur ein Detail. Dennoch sorgen die Sockel für ein schiefes Bild. In der Moderne tilgte man sie, um das Kunstwerk demokratischer zu machen. Hier werden sie allerdings wieder hierarchisch eingesetzt. Als Werkzeug, um Ideen über das widerständige Nichtstun zu erhöhen. Letztlich verstärkt sich dadurch sogar deren Produktcharakter.

Zwar kann sich das Format Ausstellung niemals tatsächlich der Produktivität entziehen, aber zumindest könnte man doch versuchen, bei diesem Thema das artifizielle Auf-den-Sockel-stellen zu vermeiden. Erst Recht, wenn man im Pressetext formuliert, man widme sich Positionen, die “sich dem Machen und Herstellen eines Werks entgegenstellen”. Dort krankt die Ausstellung Neue Wege nichts zu tun an ihrer Glaubwürdigkeit. Das kritische Moment des Unterlassens und des Verweigerns, man kauft es der Kunsthalle einfach nicht wirklich ab. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 1.7.2014, Langfassung)