Rodez ist alles andere als eine Diva. Es ist eine Stadt, die sich nicht aufdrängt, weil sie es nicht nötig hat, eine, die man suchen muss. Nach einer längeren Fahrt durch die saftig-grüne, dünn besiedelte Aveyron-Region im Süden Frankreichs, wo teilweise noch die legendäre galloromanische Sprache Okzitanisch gesprochen wird, taucht Rodez (okzitanisch Rodés) plötzlich in der Ferne auf. Es liegt auf einem Hügel, auf dessen Hänge sich historische Häuser neben bescheidenen Gebäuden aus der Nachkriegszeit scheinbar hinaufarbeiten. Knapp 24.000 Menschen leben hier etwa 150 Kilometer nordöstlich von Toulouse entfernt. Im Zentrum überragt die Kathedrale Notre-Dame von Rodez, die man im 13. Jahrhundert zu bauen begonnen hatte, alles. Sie wirkt fast eine Nummer zu groß für die sie umgebenden Bauwerke und Straßen.

Wenige Wochen ist es alt - das Musée Soulage in Rodez, der Heimatstadt des 94-jährigen Künstlers Pierre Soulages. Er und seine Frau Colette schenkten der kleinen Stadt 500 Werke.
Foto: Photothèque Grand Rodez

In dieser uneitlen Stadt wurde zu Weihnachten 1919 einer der bekanntesten Maler Frankreichs geboren: Pierre Soulages. Der Sohn eines Kutschenbauers, der sich stets der soliden Welt des Handwerks nahe fühlte, während er die Kunstwelt eroberte, war 1955 Teilnehmer der Documenta I. Großteils autodidaktisch geschult, tauchte er in den 1940ern als Weinbauer mit falschem Ausweis in Montpellier unter, um der Zwangsarbeit in Deutschland zu entgehen. Nach dem Krieg zog er nach Paris und widmete sich ausschließlich der Kunst. Er galt in einer Zeit, als die abstrakten Expressionisten Amerikas hoch im Kurs standen, als europäische Antwort der Abstrakten.

Auf seinen Ölbildern aus den 1940ern und 1950ern waren dabei die Gesten des Malers nicht erkennbar - wie etwa bei Jackson Pollock. "Bei den Amerikanern sah man es tropfen, und am Ende schüttet noch wahrscheinlich noch jemand Whisky drüber", beschreibt Benoît Decron die Kunst der Amerikaner, und es klingt fast ein bisschen verächtlich. Decron führt uns mit einer ansteckenden Begeisterung durch das frisch eröffnete Soulages-Museum in Rodez, dessen Direktor er ist.

Schuhe und anderes Werkzeug

Soulages’ Bilder, egal ob die berühmten großformatigen schwarzen Malereien, die sogenannten Outrenoir-Bilder, oder Drucke, deren verwendete Kupferplatten nach dem Druckverfahren selbst zu Kunstobjekten wurden, oder die mit brauner Walnussbeize hergestellten "brous de noix", hätten dagegen etwas Konzentriertes, Strengeres, so Decron. Später erinnerten sie gar an Schriftzeichen, an großformatige Kalligrafien.

In all seinen abstrakten Bildern machte er sich immer - ganz konkret - auf die Suche nach dem Licht, das er auch im Schwarz "befreien" wollte. So eine Suche kann schon Jahrzehnte dauern, wenn man es ernst meint. Egal ob er Werkzeuge von Handwerkern verwendete oder mit einer Schuhsohle die dicke Farbe wieder von den Bildern kratzte: Am Ende scheint wirklich Licht aus kleinen Fenstern und Rissen aus den Bildern zu strahlen.

Das katalanische Architektenkollektiv RCR stellte in enger Zusammenarbeit mit dem heute 94-jährigen Künstler ein Museum hin, das im Material - Stahl mit einer Rostpatina und viel Glas - und im Spiel mit Licht und Dunkel die Themen von Soulages aufgreift: Die Suche nach dem Licht.
Foto: Photothèque Grand Rodez

Nach jahrelanger Vorarbeit - Pierre Soulages und seine Frau Colette, mit der er seit 72 Jahren verheiratet ist, hatten der Stadt 500 Werke geschenkt, die Stadt willigte dafür in den Museumsbau ein - wurde das Musée Soulages Ende Mai von Staatspräsident François Hollande eröffnet. Dass es schon in der ersten Woche mehr als 14.000 Besucher zählte, kann man angesichts der Sammlung und des Gebäudes selbst nachvollziehen.

Die Suche nach dem Licht

Das katalanische Architektenkollektiv RCR stellte in enger Zusammenarbeit mit dem heute 94-jährigen Künstler ein Museum hin, das im Material - Stahl mit einer Rostpatina und viel Glas - und im Spiel mit Licht und Dunkel die Themen von Soulages aufgreift: Die Suche nach dem Licht.

Manche seiner Radierungen, Lithografien oder Siebdrucke werden in geradezu düsteren Räumen in Szene gesetzt, der Bereich für die temporären Ausstellungen, in dem derzeit teilweise ganz junge Großformate hängen, ist hingegen von Licht durchflutet. Der 191 Zentimeter große Soulages, der als erster lebender Künstler eine Werkschau in der Eremitage in St. Petersburg hatte, arbeitet nach wie vor. Wenn man den Weg zur Bibliothek des Museums antritt, blitzt das das Licht zwischen senkrechten fixen Stahllamellen durch wie aus den Gemälden, die das Haus beherbergt.

80 Millionen schwerer Schatz

Das Museum kostete 21 Millionen, der Staat Frankreich bezahlte vier davon, den Rest berappten die Region und die Stadt Rodez. Der Wert der geschenkten Bilder ist ungleich höher: Er wird auf knapp 80 Millionen geschätzt. Soulages sorgte mit seiner perfektionistischen Arbeitsweise selbst dafür, dass seine Bilder wertvoll, weil nicht inflationär vorhanden bleiben. "Wenn ihm etwas nicht gefiel, verbrannte er das Blatt und begann von neuem", erzählt Museumschef Decron.

In einem Raum sind Skizzen von Fenstern ausgestellt, die Soulages für die Fenster der rund tausend Jahre alten Abtei Sainte-Foy von Conques (okzitanisch Concas) entworfen hat. Die Skizzen waren 2005 eine der ersten Schenkungen des Ehepaars Soulages an Pierres Heimatstadt.

Bunte Schattierungen im Weiß

104 Fenster entwarf der Künstler für die imposante Steinkirche. Soulages - im Herzen immer auch Handwerker - beschränkte sich nicht auf das Skizzieren. Jahrelang experimentierte er im italienischen Murano, um das richtige Glas zu finden: Es sollte transluzid sein, aber nicht transparent. Soulages verwendete schließlich Glas, das in sich aus vielen Glasteilchen bestand. Die Fenster sehen im Schatten recht eintönig milchig-weiß aus, bei Sonneneinstrahlung bricht sich das Licht und schafft bunte Schattierungen im Weiß.

Conques ist nur eine knappe Autostunde von Rodez entfernt. Man fährt durch mehrere absolut malerische und trotzdem touristisch in Ruhe gelassene Dörfer und Städtchen.

Conques sieht wie eine Kulisse für einen Mittelalterfilm aus. Nicht nur die Klosterkirche, die der Heiligen Sainte Foy geweiht wurde, ist rund 1000 Jahre alt, sondern auch die meisten Häuser sind es. Ein goldener Reliquienschrein in der Gestalt der Heiligen, der über die Jahunderte mit Edelsteinen aus allen Epochen besetzt wurde, ist der Schatz von Conques. Er überlebte die Französische Revolution, als die meisten Kirchenschätze eingeschmolzen wurden, versteckt und eingebuddelt in einem Gemüsegarten.

Die Abtei von Conques erhielt 104 neue Fenster von Soulages. Conques  selbst sieht wie eine Kulisse für einen Mittelalterfilm aus. Nicht nur die Klosterkirche, die der Heiligen Sainte Foy geweiht wurde, ist rund 1.000 Jahre alt, auch die meisten Häuser.
Foto: Tourisme Aveyron

Die Stadt, eine wichtige Pilgerstation auf dem französischen Jakobsweg, wurde einst für tausende Menschen gebaut. Heute leben hier - abzüglich einiger wohlhabender Ferienhausbesitzer - rund 100 Menschen. Conques liegt in einer Schlucht am Ufer der Dourdou. Parken muss man außerhalb, dementsprechend ruhig bleibt es an dem Zauberort auch, wenn tausende Pilger einfallen.

Aligot könnte schwer im Magen liegen

Nach Santiago de Compostela ist es von hier noch sehr weit. "Aber mit einer Portion Aligot im Bauch marschiert man dort ohne Pause hin", stellt ein spanischer Kollege nach dem Essen in Conques fest. Aligot ist eine für die Aveyron-Region typische Spezialität: ein Kartoffelpüree, das neben Kartoffeln großteils aus Tomme-Käse besteht. Früher stärkten sich Pilger damit. Wenn man heute Aligot isst und dann ins Auto steigt, könnte es einem länger im Magen liegen.

Wer gut essen will, kann das, wenn er sich nicht gerade vegan ernährt, überall im Aveyron. Man muss dazu Rodez nicht verlassen, nicht einmal das Musée Soulages. Denn in einem der rostroten Würfel des Gebäudes hat einer der besten Köche Frankreichs ein Lokal eröffnet: Michel Bras. Zusammen mit seinem Sohn Sébastien bereitet der aus der Region stammende Koch Unglaubliches zu: Rindfleisch, das auf der Zunge selbst zerfällt, oder Käsesoufflé auf einer essbaren Blumenwiese. Vom Kirschkuchen wollen wir gar nicht erst zu schwärmen beginnen.

Moderate Preise für Kunststudenten

Bras versteht sich in seiner Liebe zur Kunst und zum Handwerk mit Soulages, mit dem er sich auf moderate Preise einigte, damit sich auch Kunststudenten hier ohne Probleme ein Essen leisten können. Sein Stammlokal befindet sich in Laguiole, wo auch eine traditionsreiche Messermanufaktur steht. Diese fertigte eigene Messer für das Café Bras im Museum an. Mit ihnen bewaffnet, kann man sich auch beim Essen auf die Suche nach dem Licht machen. (Colette Schmidt, Album, DER STANDARD, 28.06.2014)