Der Verfassungsgerichtshof hat am Freitagvormittag die Speicherung von Vorratsdaten für verfassungswidrig erklärt. Damit wird zumindest ein Kapitel im jahrelangen Streit um den staatlichen Zugriff auf Telefon- und Internetdaten beendet. Die Vorratsdatenspeicherung darf ab sofort nicht mehr angewandt werden.
"Nicht verhältnismäßig"
Das Gericht gab den Beschwerdeführern in seinem Urteil recht, zahlreiche Paragrafen und Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes sind verfassungswidrig. Die Vorratsdatenspeicherung sei "nicht verhältnismäßig" und stelle einen "gravierenden Eingriff in die Grundrechte" dar. Die Bestimmungen in Telekommunikations- und Sicherheitspolizeigesetz sowie der Strafprozessordnung sind daher nicht zulässig.
Anlasslose Speicherung im Visier
So "fehlen präzise gesetzliche Sicherheitsvorkehrungen" für Zugriffe und Löschung der Daten. Außerdem würden zu viele Personen ohne Verdacht überwacht werden - nämlich nahezu die gesamte österreichische Bevölkerung, so die Verfassungsrichter laut ersten Informationen. Durch den großen Kreis an Personen, die theoretisch Zugang zu Vorratsdaten haben, bestehe auch ein großes Missbrauchsrisiko.
Das Recht auf Datenschutz sei dabei ein Grundpfeiler jeder demokratischen Gesellschaft und nötig, damit Bürger ihre Persönlichkeit frei entfalten können. Zwar sehe der Verfassungsgerichtshof neue Herausforderungen krimineller Natur durch moderne Kommunikationsmittel, diese reichten aber nicht aus, um Regelungen wie die Vorratsdatenspeicherung einzuführen.
Mehrjähriger Streit
Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) war im April 2012 nach mehrjährigem Streit zwischen Bundesregierung und Europäischer Union eingeführt worden. Unter dem Eindruck der Terroranschläge von London 2005 hatte die britische Regierung vorgeschlagen, die Telekomdaten aller EU-Bürger zu sammeln und für Terrorismusprävention zu nutzen. Aus dem Vorschlag entstand eine EU-Richtlinie, die alle Mitgliedsstaaten zur Einführung der VDS verpflichtete. Es folgte ein jahrelanger Streit:
Nach der Einführung der Vorratsdatenspeicherung im April 2012 wurde der Verfassungsgerichtshof eingeschaltet. Drei Parteien legten Verfassungsbeschwerde ein: die Datenschützer des AK Vorrat, die mehr als 11.000 Unterschriften gesammelt hatte, die damals FPK-geführte Kärntner Landesregierung und ein Angestellter eines Telekom-Unternehmens. Der Antrag der Kärntner Landesregierung wurde beim aktuellen Urteil jedoch zurückgewiesen, da er "nicht ausreichend" formuliert worden war.
Österreichisches Höchstgericht folgt EuGH
Die erste Verhandlung vor dem VfGH fand im September 2012 statt. Drei Monate später überwies das österreichische Höchstgericht den Fall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), da die Vorratsdatenspeicherung einerseits aufgrund einer EU-Richtlinie eingeführt wurde, gleichzeitig aber der EU-Grundrechtecharta widersprach.
Nach längeren Verhandlungen erklärte der EuGH, der in der Causa auch von Irland angerufen wurde, die Richtline für grundrechtswidrig und "unverhältnismäßig"
Bundesregierung hatte VDS verteidigt
Damit lag der Ball wieder beim Verfassungsgerichtshof, der in einer letzten Anhörung vor rund zwei Wochen Kritikern und Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung Gelegenheit gab, ihre Argumente noch einmal vorzutragen. Damals hatten Vertreter der Bundesregierung die Vorratsdatenspeicherung verteidigt und ihren Nutzen im Einsatz gegen Cybercrime und für allgemeine Verbrechensaufklärung betont. Auch Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) hatte sich für eine Beibehaltung ausgesprochen.
Einsatz für Stalking und Diebstahl
Diese Argumente waren von Datenschützern stark bezweifelt worden. Tatsächlich zeigen Statistiken, dass Vorratsdaten vor allem im Kampf gegen "Diebstahl", "Stalking" und vergleichbare Delikte, aber kein einziges Mal bei der Terrorismusabwehr eingesetzt wurden. Schlußendlich folgte der VfGH dem EuGH und erkannte ebenso eine "Unverhältnismäßigkeit" der angewandten Mittel.
Gesetzesänderung nötig
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) muss das Urteil nun "rasch kundmachen", anschließend ist die Vorratsdatenspeicherung außer Kraft. Reaktionen aus der Bundesregierung stehen momentan noch aus.
Es ist allerdings unklar, inwiefern die EU selbst auf den EuGH-Entscheid reagieren wird, da durch ihn die Legitimität der prinzipiellen EU-Richtlinie infrage gestellt wird. Die EU-Kommission hatte vorerst keine Änderungen daran angekündigt.
Vor dem Verfassungsgerichtshof wurde indes gefeiert. Datenschützer und Beschwerdeführer begrüßten das Urteil. (fsc/sum, derStandard.at, 27.6.2014)