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"Die schulautonomen Tage passen wirklich niemandem, außer vielleicht ein paar Lehrergewerkschaftern": Elisabeth Grossmann ist weiterhin für die Einführung familienautonomer Tage.

Foto: apa/Schlager

"Das war teilweise großes Pech", sagt die neue SPÖ-Bildungssprecherin Elisabeth Grossmann über die Anfänge der Amtszeit ihrer Parteikollegin, der Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Sie habe aber aus der jeweiligen Situation - etwa beim Bifie-Datenleck - das Beste gemacht. Grossmann kündigt im Gespräch mit derStandard.at an, dass bis Ende des Jahres die Evaluierung der Neuen Mittelschule fertig sein wird. "Man kann dem Konzept der Neuen Mittelschule nicht den Vorwurf machen, dass es schlecht ist, wenn dort und da Bildungserwartungen nicht erfüllt werden", verteidigt sie die neue Schulform bereits jetzt. Wenn das Problem der frühen Selektion nicht beseitigt werde, werde auch das Grundproblem nicht beseitigt.

derStandard.at: Wenn man sich Ihre Aussendungen durchliest, hat man das Gefühl, Ihre Hauptaufgabe als SPÖ-Bildungssprecherin bestehe darin, Unterrichtsministerin Heinisch-Hosek zu verteidigen. Stimmt das?

Grossmann: Das hängt immer davon ab, was von den Journalisten gefragt wird. Es kommen eigentlich immer nur Fragen zur Ministerin. Mein Selbstverständnis sieht natürlich anders aus. Ich möchte die sozialdemokratischen Bildungsperspektiven prägen und gestalten. Aber natürlich wird man als Parlamentarierin auch in diese Rolle gedrängt, die Regierungspolitik zu verteidigen.

derStandard.at: Die Unterrichtsministerin hatte während ihrer kurzen Amtszeit schon einige Probleme. Erst hat sie alle Bildungstests abgesagt, jetzt findet Pisa doch statt, sie hat Einsparungsvorschläge gemacht, die sie dann wieder zurücknahm. Wie beurteilen Sie ihre Performance?

Grossmann: Sie hatte schwere Prüfungen zu bewältigen, es ist ihr nicht leicht gemacht worden. Das war teilweise großes Pech. Sie hat aber aus den jeweiligen Situationen das Beste gemacht. Deshalb beurteile ich ihre Performance mit "Gut".

derStandard.at: War die Absage von Pisa nicht zu voreilig?

Grossmann: Ich habe das unmittelbar mitbekommen. Wir hatten beim Bifie große Sorgen, was die Datensicherheit betrifft. Es geht um das Vertrauen in diese Testverfahren, es gab ja ohnehin immer viel Skepsis, was diese Tests betrifft. Bis wir nicht ausschließen konnten, dass es Lücken gibt, konnten wir damit nicht leichtfertig umgehen. Insofern hat sie sehr verantwortungsvoll gehandelt.

derStandard.at: Sie sind jetzt die dritte SPÖ-Bildungssprecherin in einem Jahr ...

Grossmann: Ja, da haben wir eine ziemliche Fluktuation gehabt. Es hat aber auch Neuwahlen gegeben.

derStandard.at: Trotzdem sind Sie in dieser kurzen Legislaturperiode schon die zweite rote Bildungssprecherin. Warum kommt es zu dieser Fluktuation?

Grossmann: Es ist sicherlich nicht einfach, weil dieses Thema ein sehr konfliktbeladenes ist. Da prallen Weltbilder aufeinander, man muss viel vermitteln. In der Regierungsverantwortung kommt man auch nicht immer zu hundert Prozent mit seinen Forderungen durch. Kollegin Laura Rudas hat sich eben beruflich verändert, das ist zu respektieren.

derStandard.at: SPÖ und ÖVP geraten vor allem bei Bildungsthemen oft aneinander. Wie wollen Sie auf Bundesebene die ÖVP für Ihre Vorschläge gewinnen?

Grossmann: Es ist wichtig, die Problemlagen eingehend zu analysieren und zu schauen, was wir gemeinsam haben. Jetzt steht bis Ende des Jahres die Evaluierung der Neuen Mittelschule an. Aus diesen Erfahrungen können wir gemeinsam Schlüsse ziehen und ideologische Scheuklappen ablegen. Wichtig ist, dass man hier richtige Vergleiche anstellt. In Regionen, wo man eine Neue Mittelschule und eine AHS direkt nebeneinander hat, ist es klar, dass die AHS eine stärkere Sogwirkung hat. Da schwingt ein anderes Image mit.

Wir haben weiterhin das Problem der Selektion. Man kann dem Konzept der Neuen Mittelschule nicht den Vorwurf machen, dass es schlecht ist, wenn dort und da Bildungserwartungen nicht erfüllt werden. Wenn das Problem der frühen Selektion nicht beseitigt wird, dann wird das Grundproblem nicht beseitigt.

derStandard.at: Reden Sie sich da nicht heraus? Immerhin hat die Neue Mittelschule viele Ressourcen bekommen, etwa mehr Lehrer. Erste Zahlen haben gezeigt, dass sie keine besseren Leistungen bringt, das wird wohl auch der Evaluierungsbericht zeigen. Das kann nicht nur mit der Selektion zusammenhängen; es müsste zumindest bessere Leistungen als bei der Hauptschule geben, wenn es mehr Ressourcen gibt.

Grossmann: Nach den ersten Beobachtungen hat sich sehr wohl einiges verbessert, aber Wunder wird man sich nicht erwarten können, wenn man das Grundproblem nicht löst. Am anschaulichsten gibt es dort Verbesserungen, wo es keine AHS gibt und man ein heterogenes Schülerpublikum hat. In der Region Murau gab es eine der ersten Mittelschulen ohne AHS, und dort kann man sehen, dass sich das Bildungsniveau in Mathematik verbessert hat.

derStandard.at: Schulen ohne AHS in der Umgebung sind meist Schulen auf dem Land, dort gibt es weniger soziale Probleme. Wäre an Schulen mit sozialen Problemen wirklich die Gesamtschule die Lösung, oder braucht es nicht einfach mehr Sozialarbeiter?

Grossmann: Es gibt kein alleiniges Allheilmittel für soziale Probleme. Um diese bewältigen zu können, braucht es natürlich auch mehr Schulsozialarbeit. In der Steiermark habe ich Sozialarbeit eingeführt, das hat sich sehr bewährt. Was mir aber auch vorschwebt, sind genauere Kriterien bei der Ressourcenverteilung.

derStandard.at: Was soll sich da ändern?

Grossmann: Wir haben derzeit das Problem, dass manche Länder ihre Dienstpostenpläne für Lehrer maßlos überziehen. Das ist so nicht hinzunehmen. Man muss verstärkt darauf schauen, nach welchen Kriterien diese Dienstpostenpläne erstellt werden. Das sollten soziale Kriterien sein, auch der Bildungsgrad der Eltern, der Anteil der Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache und die regionalen Gegebenheiten sollten Beachtung finden. Das sollte man mit den Ländern verhandeln. Da kann man nicht alle mit der Wiener Brille über einen Kamm scheren.

derStandard.at: Höre ich da heraus, dass Sie dafür sind, dass die Länder für die Lehrer zuständig sein sollen und nicht der Bund?

Grossmann: Nein, da haben Sie mich zu früh interpretiert. Man muss das mit Ländervertretern besprechen, weil die mit der Situation vor Ort vertraut sind. Auch Bundesbehörden in den Ländern können diese Fachkenntnis haben.

derStandard.at: Wie sehen Sie als ehemalige steirische Landesrätin den Konflikt um die Kompetenz für die Lehrer. Sollen die Länder zuständig sein oder der Bund?

Grossmann: Die Bildungskompetenz sollte schon beim Bund angesiedelt sein. Mir schwebt das beste Bildungssystem vom Bodensee bis zum Neusiedler See vor, mit gleichen Rahmenbedingungen. Dafür braucht es zentrale Entscheidungsstellen. Wie die Struktur konkret aussehen soll, wird derzeit verhandelt. Dazu gibt es auch eine Expertengruppe, die Vorschläge erarbeiten soll.

derStandard.at: Warum braucht man hier noch eine Expertengruppe, warum wertet man nicht die bereits bestehenden Vorschläge aus?

Grossmann: Es gibt sicherlich schon eine gute Basis, man kann Vorschläge, etwa aus dem Österreich-Konvent, durchaus aufgreifen. Vielleicht fällt den Experten aber auch etwas anderes ein.

derStandard.at: Sie haben vor einigen Tagen eine Debatte über eine Reform der Ferien angestoßen. Warum sind Ihnen die Sommerferien zu lang?

Grossmann: Ich bin selbst Mutter. Ich habe gesehen, dass es für die Kinder schwer ist, nach dieser langen Zeit in den Schulalltag hineinzufinden. Das ist das pädagogische Problem. Die Ferienregelungen haben andere Wurzeln, man hat die Kinder früher für die Erntearbeit gebraucht. Ein zusätzliches Problem ist die Betreuungsfrage, niemand hat so lange Urlaub. Ich könnte mir vorstellen, dass man eine Woche wegzwickt.

derStandard.at: Auch die schulautonomen Tage wollen Sie abschaffen und in familienautonome umwandeln.

Grossmann: Die schulautonomen Tage passen wirklich niemandem, außer vielleicht ein paar Lehrergewerkschaftern. Man hat mehrere Kinder in verschiedenen Schulen und keine Planungssicherheit. Man könnte die Fenstertage weiterhin bundesweit zu freien Tagen erklären und zusätzlich drei weitere Tage den Familien zur Verfügung stellen; die Schüler können sich dann freinehmen, müssen aber nicht. Damit wären die Familien nicht im engen Ferienkorsett gefangen.

Man könnte diese Tage auch verwenden, um sich auf Schularbeiten vorzubereiten oder außerhalb der Hauptsaison mit den Eltern einen Urlaub zu verbringen. Derzeit sagen Eltern, die mit ihren Kindern wegfahren wollen, dass ihre Kinder krank sind, man sollte die Kinder aber nicht zum Lügen erziehen. Wer ehrlich ist, müsste einen zusätzlichen freien Tag bei der Direktion beantragen und mühsame bürokratische Wege gehen.

derStandard.at: Warum sollten familienautonome Tage weniger bürokratisch sein?

Grossmann: Grundsätzlich hätten die Schüler drei Tage, an denen sie sich freinehmen können. Es soll aber Sperrtage bei Schularbeiten und Tests geben. Man kann vielleicht Urlaubsgutscheine vorher ausdrucken, oder die Schüler machen eine Woche vorher einfach eine Meldung, dass sie nicht da sein werden.

derStandard.at: Trotzdem klingt das nach viel administrativem Aufwand, wenn der Klassenvorstand oder der Direktor diese Urlaubstage für jeden einzelnen Schüler genehmigen muss.

Grossmann: Das glaube ich nicht. Noch komplizierter ist es, wenn die Schüler einfach nicht da sind und irgendeinen Grund vorschieben.

derStandard.at: Besteht nicht die Gefahr, dass der Lehrer dann zwei Tage vor Schulende alleine in der Klasse steht?

Wenn dann alle weg sind, hat der Lehrer Gelegenheit, sich fortzubilden. Natürlich kann sich ergeben, dass dann einige weg sind. Aber in der Hektik, dass da jetzt einige freie Tage wegfallen, werden von manchen Lehrern haarsträubende Argumente vorgeschoben. (Lisa Aigner, derStandard.at, 26.6.2014)