Bild nicht mehr verfügbar.

Times Square in New York einmal anders: statt brausenden Verkehrs tausende Menschen, die Yoga praktizieren.

Foto: REUTERS/Eric Thayer

Wien/Graz - Und da waren sie wieder zu Tausenden, die mit Leichtigkeit in den Himmel gestemmten Heuschrecken, Skorpione und Schmetterlinge, die Tauben, Adler und Kraniche, die vielen mal auf-, mal herabschauenden Hunde. Zum bereits zwölften Mal verwandelte sich der New Yorker Times Square vergangenen Samstag, dem Tag der Sonnenwende, zu einer riesigen Yogamatte. Auf dieser pferchten sich rund 11.000 Verrenkungsaficionados zusammen, um den Sommer mit dem Sonnengruß, dem sogenannten Surya Namaskar, willkommen zu heißen.

Die Inbesitznahme des lautesten, buntesten und mit Werbebotschaften dichtest bestückten Platzes von Manhattan ist weniger exotisch, als es zunächst scheinen mag. Schon seit Sommer 2009 ist der Times Square in Teilen verkehrsberuhigt. Wo sich einst Kolonnen von Autos und Taxis über die Broadway-Kreuzung geschoben haben, sitzen nun Einheimische und Touristen an knallig bunten Tischen und Bänken. Und zwar ohne Konsumationszwang, wohlgemerkt. Die Initiative geht zurück auf den früheren New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg.

Auch die wohl weltweit berühmteste Fußgängerzonenbaustelle der vergangenen Jahre, die Begrünung und Wiederbelebung der Highline im Meatpacking District, geht auf Bloombergs Konto. Nach Plänen der New Yorker Architekten Diller Scofidio Renfro ist ein linearer Park entstanden, der nicht nur ein Naherholungsort, sondern auch ein infrastruktureller Impuls für die gesamte Gegend ist.

Anleitung zum Fußgehen

Seit der Fertigstellung des ersten Bauabschnitts 2009 ist der Auto- und Taxiverkehr auf der Lower West Side deutlich zurückgegangen. Und der Anteil der Passanten im ohnehin fußgängerfreundlichen Manhattan steigt von Jahr zu Jahr. Bis 2015 soll die Highline verlängert und bis zu den Gleisanlagen der Penn Station auf etwa drei Kilometer Gesamtlänge ausgebaut werden.

Grüne Impulse, die den zu Fuß Gehenden dem Autofahrer vorziehen, werden mehr und mehr. Ausgerechnet im Millionenmoloch Los Angeles, in dem ein Leben ohne eigenen Pkw unvorstellbar scheint, findet langsam, aber doch ein Umdenken statt. Im Verkehrs- und Stadtplanungskonzept "Recode L.A." ist festgehalten, dass in den kommenden Jahren ein Teil der Straßen und Fahrspuren zu Radwegen und Fußgängerzonen umgebaut werden soll.

Vor allem in den ohnehin schon attraktiveren Stadtvierteln Santa Monica und Hollywood wird daran gearbeitet, die Autos von der Straße zu verbannen. Doch auch in Downtown, die bis in die Neunzigerjahre nur als Central Business District bekannt und als Wohnquartier entsprechend unbeliebt war, soll auf diese Weise wieder mehr Lebensqualität Einzug halten. "Highways to Boulevards" nennt sich diese Initiative, die nicht nur in Kalifornien, sondern USA-weit gestartet wurde.

"Das Leben in Los Angeles ändert sich allmählich", sagte Wolfgang Christ, Städtebau-Professor an der Bauhaus-Universität Weimar und Begründer des Urban-Index-Instituts Darmstadt, im Rahmen des Internationalen Städteforums Graz (ISG), das kürzlich über die Bühne ging. "Für die Jungen ist das Auto kein Statussymbol mehr. Anstatt sich in den Suburbs mit Minivan und Familie anzusiedeln, ziehen sie in die Downtown und führen ein Leben, das sich mehr und mehr am Vorbild der europäischen gewachsenen Stadt orientiert."

Und der Wiener Stadtsoziologe Jens Dangschat, ebenfalls Gastredner beim ISG, erklärte: "Wenn wir von der Attraktivierung und Wiederbelebung der Stadtzentren reden, dann sprechen wir in erster Linie von einem tendenziell jungen, wohlhabenden und liberalen Publikum." Das Schlagwort der sozialen Durchmischung werde wie eine Monstranz vor uns hergetragen, so Dangschat. Doch tatsächlich ist die Gruppe, die sich für ein Wohnen in der Stadt beziehungsweise in der Downtown interessiert, eine sehr kleine und homogene.

"Die Metropolitanregion L.A. hat 17 Millionen Einwohner. Die meisten Haushalte besitzen drei, vier Autos, also mindestens eines für jedes Familienmitglied", sagt Michael LoGrande, Stadtplanungsdirektor von Los Angeles, der kürzlich auf Einladung der Wirtschaftskammer Österreich mit einer ganzen Stadtplanerdelegation in Wien zu Besuch war. "Das kann unmöglich das Rezept für die Zukunft sein. Wir haben daher keine andere Wahl als umzudenken."

Verkehrsberuhigungen in der Downtown, sogenannte "Road Diets", sind die eine Facette der Stadtplanungsoffensive "Recode L.A.". Doch Abmagerungskur allein macht noch keine lebenswerte Stadt aus. Ein intensiver Ausbau der Infrastruktur und des öffentlichen Verkehrs ist daher der andere Schwerpunkt, auf den die Stadtregierung in den kommenden Jahren setzen wird.

Einerseits soll das öffentliche Netz ausgebaut werden. Geplant sind 500 Kilometer an Subway- und Lightrail-Linien (vergleichbar mit unserer Straßenbahn) in Downtown, West Los Angeles, Hollywood, Long Beach, Santa Monica und Culver City. 30 Milliarden US-Dollar an Steuergeldern (rund 22 Milliarden Euro) nimmt die Stadtregierung dafür in die Hand. Zu einem großen Teil werden die Innenstadtbewohner zur Kasse gebeten, indem sie für die kommenden Fiskaljahre zu einer erhöhten, zweckgebundenen Steuerlast einwilligten.

Parks und Nahversorgung

Vor allem jedoch sieht "Recode L.A." vor, mehr Parks und mehr Nahversorgung zu errichten. "In manchen Stadtteilen und Wohnvierteln muss man heute noch eine halbe Stunde lang gehen, um zu einem Supermarkt zu kommen", sagt LoGrande. "Wir wollen diese Distanz in den kommenden Jahren auf zehn Minuten reduzieren."

Auch der Broadway in Downtown Los Angeles wurde schon einmal für ein paar Stunden gesperrt, um ihn verrenkungshungrigen Yogis für ihre Katzen, Kobras und Chakrasanas zur Verfügung zu stellen. Bis New York jedoch ist es noch ein weiter Weg. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 26.6.2014)