Mit einer Zeichnung seines Kollegen Reinhold Bertlmann versuchte John Bell im Paper "Bertlmann's socks and the nature of reality" ein Grundprinzip der Quantenphysik zu illustrieren - die Verschränkung: Bertlmann trägt stets einen pinken und einen nichtpinken Socken. Wird ein pinker Socken sichtbar, ist gleichzeitig klar, dass der andere nicht pink ist - das gilt analog für verschränkte Teilchen.

Illustration: J. Bell

Der irische Physiker John Bell und sein Theorem waren Thema einer Tagung in Wien.

Foto: Bertlmann

Wien - Die Physiker Albert Einstein und Niels Bohr waren ihr Leben lang entzweit. Einstein hielt die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende Quantenphysik für unvollständig. Dass sie nur Wahrscheinlichkeiten angibt, für Ereignisse, die prinzipiell zufällig sind, aber keine definitiven Vorhersagen macht, war für ihn Indiz dafür, dass noch zusätzliche Größen berücksichtig werden müssen - die bloß noch nicht bekannt waren. Sein Kontrahent Bohr ging von einer Vollständigkeit der quantenphysikalischen Beschreibung aus. Es liege im Wesen der Natur, dass wir auf mikroskopischer Ebene nur Wahrscheinlichkeiten vorhersagen können.

Bei diesen beiden Ansichten ging es nicht nur um den Formalismus der Physik, letztlich prallten verschiedene Weltanschauungen aufeinander. Auch deswegen galt es Mitte des vergangenen Jahrhunderts unter Physikern noch als verpönt, derlei Fragen zu diskutieren, die als rein philosophische Spekulationen abgetan wurden. Mittlerweile ist das anders. Vor genau 50 Jahren stellte der irische Physiker John Bell ein Theorem auf, mit dem in einer bestimmten Versuchsanordnung nicht nur die Debatte zwischen Einstein und Bohr entschieden werden konnte - für Bohr. Dieses Theorem stellt auch die Grundlage für Technologien der Zukunft dar. Vergangene Woche wurde Bells Arbeit von mehr als 400 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern in Wien diskutiert. Titel der Tagung: "Quantum[Un]Speakables II".

Quantenmechanische Verschränkung

Der französische Experimentalphysiker Alain Aspect lobte Bells große Leistung: Er hätte die praktischen Konsequenzen der philosophischen Überlegungen erkannt. Was Bell in seinem Theorem ausnutzte, ist das Prinzip der quantenmechanischen Verschränkung, das in den 1930er-Jahren vom österreichischen Nobelpreisträger Erwin Schrödinger formuliert wurde. Der Wissenschafter berichtete von zwei oder mehreren Teilchen, deren physikalischer Zustand nur gemeinsam, nicht aber getrennt voneinander beschrieben werden kann.

Eine praktische Auswirkung davon ist, dass verschränkte Teilchen über große Distanzen getrennt werden können und durch die Messung eines Teilchens sofort der Zustand des anderen Teilchens bestimmt ist - man spricht dabei von Nichtlokalität. Bell selbst fand dazu auch einen humorvollen Zugang: Er zeichnete seinen österreichischen Kollegen Reinhold Bertlmann, der stets einen pinken und einen nichtpinken Socken trug. Wurde ein pinker sichtbar, war gleichzeitig klar, dass der zweite nur nichtpink sein konnte.

Trotz seiner Bedeutung fand das Bellsche Theorem zunächst kaum Beachtung. Der amerikanische Physiker John Clauser, der es Anfang der 1970er-Jahre als erster Wissenschafter experimentell überprüfte, erzählte in Wien von den Schwierigkeiten, Geldgeber zu finden.

Durchbruch durch Experimente

Zum Durchbruch verhalfen dem Theorem schließlich die Experimente von Alain Aspect in den 1980ern und von Anton Zeilinger in den 1990ern, die Bells Vorhersagen bestätigten. Eine wichtige Weiterentwicklung stellt das GHZ-Experiment dar, in dem drei verschränkte Teilchen betrachtet werden. Benannt wurde es nach Daniel Greenberger, Michael Horne und Zeilinger, die alle drei bei der Tagung anwesend waren.

Mittlerweile ist klar, dass das Bellsche Theorem die theoretische Grundlage für die Quanteninformationstechnologie darstellt und somit auch über die physikalische Grundlagenforschung hinaus gesellschaftlich bedeutsam ist: Quantencomputer, Quantenteleportation, Quantenkryptografie - ohne Bells Nichtlokalität wäre all das undenkbar.

Mit der Entwicklung von Lasern und Transistoren, die aus den Anfangsjahren der quantenphysikalischen Forschung hervorgingen, bewirkte die Quantenphysik eine technische Revolution, betonte Aspect - sie sind wichtig für moderne technischen Geräte.

Die Erforschung der Konsequenzen der Nichtlokalität birgt womöglich eine weitere Revolution. "Die Bedeutung des Bellschen Theorems liegt darin, dass es die Grundlage für Zukunftstechnologien bietet", sagte Reinhold Bertlmann, Physiker an der Universität Wien, der "Quantum[Un]Speakables II" gemeinsam mit Zeilinger organisiert hat.

Kritik am physikalischen Vokabular

Der Konferenztitel geht auf einen Aufsatz von Bell zurück, in dem er einige Begriffe der Quantenphysik kritisierte. Er identifizierte sogenannte "unspeakables", von denen Physiker seiner Ansicht nach nicht sprechen sollten, weil sie nicht klar definiert sind. So wollte er "Messung" oder "Apparat" aus dem physikalischen Vokabular streichen.

Im Lichte der Diskussionen um das Bellsche Theorem eröffnet der Begriff noch eine andere Lesart: Seine Auswirkungen sind noch längst nicht zu Ende gedacht und bergen womöglich noch undenkbare, unaussprechliche Möglichkeiten. (Tanja Traxler, DER STANDARD, 25.6.2014)