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Trotz der anhaltenden Gewalt hat Libyen an der Abhaltung der Wahlen heute, Mittwoch, festgehalten. Vielerorts wurden auch Wahlplakate affichiert.

Foto:Reuters / Ismail Zitouny

Tripolis/Kairo - Dass diese Wahl überhaupt stattfindet, ist bereits ein Hoffnungsschimmer. Libyen ist nur einen Schritt von absolutem Chaos und Unregierbarkeit entfernt. Seit Mitte Mai kämpft der abtrünnige Exgeneral Khalifa al-Haftar in eigener Regie gegen islamistische, von Al-Kaida inspirierte Extremisten wie Ansar al-Sharia. Unterstützt wird er auch von regulären Truppen. Regelmäßig lässt er ihre Basen und vermutete Waffentransporte in Bengasi und Derna bombardieren. Haftar hatte sich eigentlich gegen Wahlen zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen, nun aber angekündigt, am Wahltag mindestens die Waffen ruhen zu lassen. Er macht die Extremisten für eine Welle von Morden an Sicherheitsoffizieren und Entführungen verantwortlich.

Die prekäre Sicherheitslage, zu der unzählige Milizen beitragen, die alle ihre Forderungen mit Waffengewalt unterstreichen, hat auch schwerwiegende Auswirkungen auf die Versorgungslage. In Tripolis gibt es derzeit lange Schlangen vor den Tankstellen und stundenlange Stromausfälle. Die Anlagen zur Stromherstellung wurden 2011 im Krieg gegen Gaddafi teilweise zerstört. Ausländische Firmen, die für den Unterhalt sorgen sollten, haben das Land verlassen, weil es zu gefährlich geworden ist.

Ausländer verlassen Libyen

Ein weiterer Exodus hat eingesetzt, nachdem Haftar am Sonntag alle Türken und Katari aufgefordert hat, Libyen innerhalb von 48 Stunden zu verlassen, weil die Regierungen in Ankara und Doha die Muslimbrüder unterstützen. Die Türkei ist wirtschaftlich in Libyen sehr stark engagiert. Wegen Streiks und Besetzungen ist die Ölförderung bei einer Kapazität von 1,4 Millionen in den vergangenen Monaten auf 200.000 Fass pro Tag abgesackt. Die Regierung lebt deshalb von den in den letzten Gaddafi-Jahren angehäuften Reserven. Die werden aber in fünf Jahren aufgezehrt sein, sollte die Förderung auf diesem tiefen Niveau bleiben.

Gegen die Macht der Waffen hat die Regierung keine Chance. Das musste vor wenigen Tagen auch der Justizminister eingestehen, nachdem die USA in einer Kommandoaktion einen islamistischen Extremisten aus Bengasi entführt hatten. Gegen Ahmed Abu Khattala habe zwar ein Haftbefehl bestanden, der aber nicht vollstreckt werden konnte, musste Salah al-Marghani einräumen.

Während die Regierung machtlos ist, hat das Parlament, der Nationalkongress (dessen Amtszeit bereits am 7. Februar abgelaufen ist), die Wut der Bürger durch seine politische Polarisierung auf sich gezogen. Liberale und islamistische Kräfte haben sich gegenseitig gelähmt. Das ging so weit, dass mehrere Wochen zwei Regierungen parallel versuchten, die Macht an sich zu reißen. Anfang Juni hatte dann das Verfassungsgericht die Wahl von Ahmed al-Maitik für illegal erklärt, und überraschenderweise haben sich einmal alle Akteure an den Richterspruch gehalten.

Mit der Wahl eines neuen Parlaments soll nun ein weiterer Anlauf gemacht werden, um den demokratischen Neuaufbau voranzutreiben. Um den Neuanfang klarzumachen, hat es einen neuen Namen - Volksversammlung - und als Tagungsort ist nicht mehr Tripolis, sondern Bengasi vorgesehen. Neue Köpfe würden sich für das Wohl des Landes einsetzen und nicht nur für ihre Partei oder politische Gruppierung, lautet das Kalkül. Im neuen Wahlgesetz ist deshalb kein Platz mehr für Parteien, die in den Augen vieler Libyer von ausländischen Einflüssen dominiert wurden.

Diesmal werden alle 200 Mandate im Mehrheitswahlrecht vergeben. 16 Prozent der Sitze sind wieder für Frauen reserviert. Für einen echten Wahlkampf gab es kaum Zeit. Eine große Rolle haben die sozialen Medien gespielt. Im Vordergrund standen Personen und weniger Programme. Fast alle Kandidaten und Kandidatinnen präsentierten sich als Unabhängige ohne Verbindung zu einer politischen Partei.

In einigen Wahllokalen in Bengasi und Derna werde es aus Sicherheitsgründen nicht möglich sein, den Urnengang abzuhalten, hat die Wahlkommission mitgeteilt. In der von ethnischen und Stammeskämpfen geschüttelten Region Sahba wurde am Montag ein Kandidat der Tebu-Minderheit getötet. (Astrid Frefel, DER STANDARD, 25.6.2014)