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Borat-Monokini-Träger beim Nova-Rock-Festival 2014.

Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Grundsätzlich steht es ja jedem frei, sich als Banane zu kostümieren oder den Borat-Monokini überzustreifen, wie es unlängst wieder beim Novarock-Festival in Nickelsdorf zu beobachten war. Die Überschreitung kleinbürgerlicher Normen fällt in unseren Breiten traditionell leichter, wenn man sie als Spaß kodiert. Allerdings wird man auf diese Weise sicher keine neuen Partner oder Partnerinnen finden, und das ist, wie alle jüngeren Menschen wissen, schließlich der Hauptgrund für den Besuch jener ansonsten eher unerträglichen Institution der Entbehrungen namens Rockfestival.

Wer sich das einmal eingestanden hat, kann sich nach der Überwindung des Spaßterrors dann auch gleich von den Zwängen des Praktischen lösen und seinen eigenen, für den Konsum vom Wind verblasener Rockmusik und halbwarmer Handnahrung angemessenen Stil finden. Eine allgemeingültige Anleitung gibt es dafür bekanntlich nicht, aber man kann sich zumindest anschauen, was die anderen so tun, und daraus seine aufgeklärten Schlüsse ziehen.

Unvorhersehbares Wetter

Die Briten zum Beispiel: Sie leben in einem Land, dessen Witterung so unvorhersehbar ist, dass sie schon wieder verlässlich erscheint (an einem von drei Tagen wird's bestimmt regnen). Das hält sie aber nun schon seit mehr als vier Jahrzehnten nicht davon ab, so viele Open-Air-Konzerte wie möglich zu veranstalten. Mittels Autosuggestion wird der Schlamm erfolgreich glorifiziert ("mud, glorious mud") und das Grauen zum Spaß erklärt. Dieser allenfalls von Alkohol, exotischen Rauchwaren und sonstigen Substanzen unterstützte Triumph des positiven Denkens erfährt seine bekleidungstechnische Manifestation im sogenannten "festival chic", einer klassisch britischen Meisterschaft, nicht zuletzt in ihrem inneren Widerspruch aus Pioniergeist und traditionalistischer Erstarrung. Schließlich bezieht der darunter zu verstehende Boho-Look seine ästhetischen Grundsätze bzw. seine geblümten Hippie-Blusen und Kaftane direkt aus der Hippie-Garderobe der späten 1960er-Jahre.

Dreierlei Gewand

Noch weiter, nämlich auf die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, ging das von Britanniens Festivalbesuchern gefürchtete "Trenchfoot"-Syndrom durch dauerhafte Feuchtigkeit ertaubter, geschwollener und schließlich blau verfärbter Füße zurück. Diese spezifische Bedrohung gilt gottlob als gebannt, seit Kate Moss 2005, damals noch im Gespann mit einem gewissen Pete Doherty, in einem sehr kurzen Kleid mit breitem Gürtel und Gummistiefeln der Prestigemarke Hunter durch die Endzeitszenerie von Glastonbury stapfte.

Jenes zumindest in puncto Fußbekleidung grundvernünftige Modestatement wird seither von den Massen beharrlich repliziert, desgleichen die auf die Vorbildwirkung von Schauspielerin Sienna Miller zurückgeführte Konvention bis zur Freilegung der Innentaschen gekürzter Jeans-Shorts. Diese kombinieren junge Frauen mit Blumengirlanden, Stroh-Stetsons, Pork-Pie-Hütchen, weißen oder neonfarbenen Sonnenbrillen in Wayfarer-Fasson bzw. gespiegelten Pilotenbrillen, gebatikten Wife-Beaters oder Holzfällerhemden, wie sie längst nicht nur das jugendliche Einheitslabel Superdry in einer eigenen Festivalkollektion anbietet.

Biederer Festival Chic

Nachdem heutzutage auch eine reifere Klientel zum Ausrocken in die Felder drängt, führt vielmehr sogar das kreuzbiedere Haus Marks & Spencers gleich drei verschiedene Linien an "Festival Chic": "The Music Festival", von metallischen Stretchjeans (kein Wunder, dass American Apparel pleitegeht) über geblümte Jumpsuits mit Spaghettiträgern bis zu von Twiggy persönlich abgesegneten Tweed-Biker-Jacken. "The Arts Festival" für gediegenere, kunstsinnige Anlässe. Und schließlich "The Fringe Festival" für urbane Nischenfestivals ein wenig abseits des Mainstream. Katalogzitat: "Bei einem Nischenereignis ist es unvermeidlich, dass man viel zu Fuß geht, denken Sie nur an Edinburgh und sein Kopfsteinpflaster." Man leidet gern für die Kultur.

Was wiederum die jungen Herren anlangt, bieten Labels wie Jack Wills, inspiriert vom Siegeszug der niedlichen Ukulelen- und Banjofraktion Marke Mumford & Sons, körpernah geschnittene Gentleman-Romantik zwischen Yachtschuhen, Boating Blazer, Hosenträgern und Panamahüten.

Schlammschlacht

Weit sind wir gekommen, seit das Publikum des Glastonbury Festival 1985 Paul Wellers Band The Style Council aus Protest gegen deren makellose Kleidung mit Schlamm bewarf. Heutzutage sind nicht bloß die Bühnen weit außer Schlammwurfweite, die temporären Zeltstädte der Insel haben überhaupt eine radikale Gentrifizierung erfahren: Spätestens seit den mittleren Nullerjahren hat die britische Jeunesse dorée (wer anderer kann sich die Ticketpreise ohnehin nicht leisten) das sommerliche Ritual Rockfestival zum Ascot ihrer Generation verwandelt.

Ob Hipster mit postpostironischer Riesenbrille oder Chap-Hopper mit Bowler-Hut, man will was darstellen, falls man rein zufällig ins Blickfeld eines der Kamerateams wanken sollte, die den narzisstischen Auftrieb der britischen Festivalszene ungefähr so flächendeckend filmen wie der ORF das Opernballparkett.

Hollywoodisierung

In Amerika äußert sich dasselbe Phänomen in Form einer Hollywoodisierung der Festivalkultur. Die Auftritte geschätzter Schauspielerinnen wie Vanessa Hudgens und Selena Gomez auf dem begrünten kalifornischen Wüstenboden von Coachella fungieren alljährlich als Modeschau fotografenfreundlich durchsichtiger bis ultraknapper Variationen des gewohnten Boho-Chic-Themas.

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Festivalbesucher in Coachella.
Foto: Reuters/anzuoni

Was den US-Festival-Look nebst der logischen Absenz von Gummistiefeln vom britischen Äquivalent unterscheidet, ist ein auffällig höheres Aufkommen an Bikinis und folkloristischen Indianerfedern bei den Damen sowie ärmelloser Basketballtops bei den Herren. Jeder, wie er meint.

Ausdrücklich gewarnt sei allerdings abschließend vor der immer noch grassierenden Epidemie der Onesies. Jener gern in saugfähigem Plüsch hergestellte Einteiler befriedigt zwar den eingangs erwähnten Sinn für Kostümhumor, stellt diesen aber spätestens bei Besuch einer Festivaltoilette auf die Zerreißprobe. Ein Unglück ist schnell geschehen. Und dann bleibt nur mehr Hoffen auf die Dunkelheit. (Robert Rotifer, Rondo, DER STANDARD, 27.6.2014)