Trojanows Operama

Unser gegenwärtiges Opernleben ist reichhaltig, aber ist es auch relevant? Auf subjektiv eigenwillige Weise, in einem literarischen Ton, wird Ilija Trojanow die Bedeutung des Musiktheaters heute anhand von aktuellen Aufführungen in Wien und anderswo unter die Lupe nehmen. Und sich immer wieder die Frage stellen, ob und wie sich unsere Zeit in den Inszenierungen widerspiegelt. Hintergrundberichte, Porträts und Interviews runden das Operama ab.

Das schlaue Füchslein – Leoš Janáček
Wiener Staatsoper, 18. Juni 2014. Premiere

Bild: Oliver Schopf

Mit der gesellschaftlichen Abkehr von der Natur setzte die künstlerische Zuwendung zu ihr ein. Ohne Industrialisierung keine Romantik, ohne massenhaftes Abschlachten wilder Tiere keine Nationalparks. Jeder tötet das, was er liebt, sang einst Oscar Wilde, und so besinnen wir uns der Liebe zur Natur, seitdem wir sie nicht mehr mit den Füßen treten, sondern abholzen, niederwalzen, vergiften. Wir leben in Zeiten, in denen es denkbar erscheint, dass der Homo sapiens (der diesen Namen wahrlich nicht verdient) die Natur irreversibel schädigt, die Lebensgrundlage einer biologischen Vielfalt zerstört. Das ist ein Paradigmenwechsel, den jedes Kunstwerk reflektieren sollte, das sich dieser Tage mit dem Verhältnis von Mensch und Natur beschäftigt. Ja, auch die Oper.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Allerdings ist Janáčeks "Schlaues Füchslein" dazu kaum geeignet. Das von Komponisten selbst geschriebene Libretto ist ein Wirrwarr sondergleichen, in dem die Tiere mal menschlich-allzumenschlich auftreten, mal in ihrer wilden Würde gegen den zähmenden Zugriff des Menschen verteidigt werden. So "gehen die Tiere spazieren" und der Füchsin wird, der Absurdität höchster Punkt, "ein Pelz vom Grafen" als Geschenk versprochen. Janáček fehlt es an Stringenz: Natur und Kultur, wild und gezähmt sind beliebige Pole und Positionen, die immer wieder durcheinandergeraten. Niedlich geht es meistens zu, die Natur ein charmantes Puppenhäuschen, es fehlt nur, dass sich Tiere und Menschen einhaken und zu schunkeln beginnen. Solch anthropomorphisierende Darstellung der Natur ist uns durch unzählige Walt-Disney-Filme hinlänglich bekannt, die in ihrer Neuinterpretation alter Fabelmuster erheblich gewitzter und origineller sind als die müden Bemühungen auf der Opernbühne, wo Wesen auf vier Beinen in einem augenzwinkernd realistischen Kostüm Tiere nachahmen.

Otto Schenk, dem wir eine Reihe von Teflon-Inszenierungen verdanken, die intellektuell nichts anbrennen lassen, löst alle inszenatorischen Probleme, indem er ihnen aus dem Weg geht. Aktuelle Diskussionen, wie etwa die Frage, ob der Mensch weiterhin im Mittelpunkt der Schöpfung stehen sollte (auch innerhalb der katholischen Kirche inzwischen heiß diskutiert; eine Neuinterpretation des Satzes "macht euch die Erde untertan" wird verfochten); die Frage nach der Notwendigkeit von Tierrechten (oder enger gefasst Grundrechten für Primaten); die Renaissance von wilden Tieren als urbanen Mitbewohnern; die philosophischen Ansätze, die Natur (zumindest hierzulande) als Konstrukt des Menschen zu interpretieren; die Hysterie, mit der das Wiederauftreten von naturgemäß nicht gerade pazifistischen Bären und Wölfen medial begleitet wurde – all diese Phänomene einer gestörten Beziehung zwischen Mensch und Tier bzw. Natur werden nicht einmal ansatzweise reflektiert.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die Musik von Janáček mit ihrer possierlichen Annäherung an die Geräusche der Natur wirkt in Zeiten, da Komponisten längst die klangliche Kraft der Natur zu eigenständiger Geltung kommen lassen, anachronistisch. Einige reizvolle instrumentale Intermezzi, ein berührendes Duett zwischen Fuchs und Füchsin, sehr viel mehr hat diese eh schon sehr kurze Oper nicht zu bieten. Zweimal hat die Wiener Staatsoper in dieser Spielzeit eine tschechische Oper in der Originalsprache auf die Bühne gebracht; "Rusalka" war ein Triumph, "Príhody lisky bystrousky" eine herbe Enttäuschung.

Höhepunkt: Die subtile Lichtregie von Emmerich Steigberger, die als Stimmungsbarometer fungierte.

Coda: Man müsste ein altbekanntes Sprichwort für solche Inszenierungen adaptieren: "Man sieht vor lauter Bäumen die Lichtung nicht." (Ilija Trojanow, derStandard.at, 24.6.2014)