Katharina Grosses raumfüllendes Schaumstoffwerk "Wer, ich? Wen, Du?" erzählt von Beziehungslosigkeit und Sehnsucht.

Foto: Kunsthaus

Graz - Wo hinschauen? Kaum hat man den sonst so grauen Raum betreten, wird man hineingesogen in einen dreidimensionalen Rausch aus Farben und Falten. Dicke, rote Striche spielen mit den Kanten, mal folgen sie ihnen, mal kämpfen sie dagegen. Wie aus einer Untiefe taucht am anderen Ende des Raumes plötzlich ein erst dunkles, dann heller werdendes Blau auf. Woanders schmiegt sich wie ein Hybrid aus Blumenwiese und Algenmeer ein kräftiger, grüner Schleier über das riesige Ganze.

"Farbe ist überall. Es gibt keinen Grund, warum Farbe hier gelb und dort grün ist", sagt die Berliner Künstlerin Katharina Grosse, deren Werkzeug das aufgesprühte Farbpigment und deren Leinwand der vorgefundene Raum ist. Und zwar nicht selten, ohne die Grenzen zwischen Boden, Wand und Decke mit chromatischer Kraft zu sprengen. "Ich kann mich dieser Macht kaum entziehen. Ich muss immerzu malen. Das gemalte Bild, das kann überall landen."

Dieser Tage landete es im Space 01 im Kunsthaus Graz. Gilt der Raum mit seiner "Nullfarbe" (Grosse) und seinen dafür umso auffälligeren, gierig gaffenden Lichtrüsseln als schwierig zu bespielen und somit als Herausforderung für jeden Kurator, wirkt es diesmal, als hätte Grosse das von den Architekten Peter Cook und Colin Fournier vorgegebene Abhängigkeitsverhältnis ausgehebelt: Nicht die Kunst folgt dem Raum, nein, fast scheint es, als hätte sich hier erst nachträglich der Raum über jene Arbeit gewölbt, die Grosse so mystisch als Wer, ich? Wen, Du? bezeichnet.

"Der Titel ist ein Katalysator, der das Nachdenken über dich und mich in Gang setzen soll, ohne zu wissen, wohin uns das führen wird", sagt Grosse im Gespräch mit dem Standard. Unweigerlich gerät man ins Grübeln über die Beziehung zwischen sich selbst und dem Raum, zwischen Groß und Klein, zwischen Hell und Dunkel. In ihrer Maßstabslosigkeit versucht die Installation zu vertuschen, dass sie sich bis zu sechs Meter Höhe aufbäumt.

Freundliches Fremdwesen

Nachdem Katharina Grosse als Untergrund in ihren bisherigen Arbeiten Staub und Schutt, Holz und Textil, Styropor und nicht zuletzt auch Möbelstücke verwendete, ist es nun erstmals Schaumstoff, der als Leinwand herhalten muss. In Form zehn Zentimeter dicker Platten, die vor Ort zu drei riesigen, insgesamt 1500 Quadratmeter großen Ungetümen verklebt wurden, galoppiert der luftig aufgeblasene Kunststoff durch den selbst nur 750 Quadratmeter kleinen Raum. Es ist, als hätte Grosse dem Kunsthaus, oft als "Friendly Alien" bezeichnet, ihre eigene Interpretation eines freundlichen Fremdwesens einverleibt.

"Ich berühre die Bildfläche und werde sichtbar, für mich ist alles eine illusionistische Oberfläche und Malen ein Modus des Denkens", sagt Grosse. Vor allem aber ist es die Falte, immer wieder kehrendes Element in der Kunstgeschichte, die es der 53-Jährigen angetan hat. Schon Gilles Deleuze bezeichnet sie in seinem Werk Die Falte. Leibniz und der Barock als "Spannen-Entspannen, Zusammenziehen-Ausdehnen, Komprimieren-Explodieren". Und Grosse selbst, die sich vor wenigen Wochen noch mit Sprühpistole und Atemschutz in die wogenden Schaumstoffwellen schmiss, um diese mit einem Sfumato aus 20 kreischenden Acryltönen zu bändigen, gesteht: "Die Falte und der in ihr enthaltene Raum sind für mich sehr verlockend." So verlockend, dass man sich wie dereinst Odysseus am liebsten den Wogen übergeben möchte. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 25.6.2014)