Sie sei ein politisch interessierter Mensch, sagt Evi Genetti, und als solcher würde die Wissenschaftsmanagerin gerne mitbestimmen, wer im Wiener Landtag oder im Nationalrat sitzt – doch das darf sie nicht. Seit mehr als zwanzig Jahren lebt die Italienerin in Österreich, ihr Kind wächst hier auf, sie zahlt hier Steuern und in die Sozialversicherung ein. Mitbestimmen, was mit diesen Beiträgen geschieht, darf sie nicht. Um wählen zu dürfen, müsste sich die Wienerin einbürgern lassen – und zugleich die italienische Staatsbürgerschaft zurücklegen. "Ich fühle mich integriert“, sagt Genetti, "aber ich sehe keinen Grund, meine Staatsbürgerschaft aufzugeben. Das ist auch eine Frage der Identität.“

Anders die rund 318.000 wahlberechtigten Österreicher, die zum Teil seit Jahrzehnten im Ausland leben. Sie kennen zwar die meisten österreichischen Minister nicht beim Namen und können bei aktuellen Themen nicht mitreden. Trotzdem dürfen sie für den Nationalrat kandidieren und mitbestimmen, wer im Landtag sitzt.

Recht hinkt Zeit hinterher

Dass das Wahlrecht streng an die Staatsbürgerschaft geknüpft ist, halten viele für nicht zeitgemäß. Die Menschen sind mobiler geworden, es wird von ihnen erwartet, dass sie im Ausland Jobs annehmen, einige verlegen sogar mehrmals im Leben ihren Wohnsitz in ein anderes Land. Die nationalen Wahlrechtsordnungen hinken dem aber hinterher (siehe Grafik links): Zwar gesteht die Mehrheit der EU-Staaten den Nicht-EU-Ausländern zwar zumindest auf Gemeindeebene ein Stimmrecht zu, auf regionaler Ebene tun das aber nur ganz wenige Länder und auf Bundesebene nur Großbritannien und Portugal – für einen  eingeschränkten Personenkreis.

Österreich gilt im EU-Vergleich als besonders geizig, was Mitbestimmungsrechte für Nichtösterreicher betrifft. Nicht nur, dass man sich einbürgern lassen muss, um ein Wahlrecht zu erhalten, die Einbürgerung wird den Zuwanderern auch besonders schwer gemacht. Sie müssen lange Fristen abwarten, bis sie überhaupt die Staatsbürgerschaft beantragen dürfen – sollten sie dann aber zu wenig verdienen, heißt es beim Amt: Leider nein.

Politikwissenschafter Gerd Valchars sieht darin ein „verdecktes Zensuswahlrecht“ – also ein Wahlrecht nur für jene, die es sich finanziell leisten können. Dass man Ausländer generell vom Wahlrecht ausschließt, sei demokratiepolitisch bedenklich. „Es ist eine Grundidee der Demokratie, dass die, die von Gesetzen betroffen sind, diese auch mitbestimmen dürfen“, so Valchars.

Ein Drittel ohne Stimmrecht

Auch Verfassungsjuristen sehen die Entwicklung mit Sorge, zumal die Zahl jener Menschen, die nicht mitbestimmen dürfen, stetig wächst. In Wiener Bezirken mit hohem Ausländeranteil dürfen bis zu 33 Prozent der Bewohner nicht an Wahlen teilnehmen –auch wenn sie hier geboren sind. „Österreich ist eine Staatsbürgerdemokratie“, sagt Harald Eberhard, Rechtsprofessor an der Wirtschaftsuni Wien, „keine Betroffenendemokratie.“ Das prägt auch den politischen Diskurs: „Wer nicht wählen darf, wird leicht zum Sündenbock“, so Valchars. Man könne Politik gegen Ausländer machen, ohne um deren Stimmen bangen zu müssen. „Bei Pensionisten oder Studenten geht das nicht so leicht.“

Neuen Gruppen ein Wahlrecht zu geben sei in der Geschichte selten ohne Druck erfolgt, meint die Schweizer Juristin Martina Caroni. Die Gemeinde Wien versuchte es ohne Kampf – und scheiterte. Als der Landtag 2002 beschloss, Ausländer auf Bezirksebene mitstimmen zu lassen, zogen ÖVP und FPÖ zum Verfassungsgerichtshof. Dieser stellte klar: ein Ausländerwahlrecht sei verfassungswidrig. Das Recht gehe vom Volk aus, und wer zum Volk gehöre, sei klar definiert: nur Staatsbürger. Dem widerspricht Juristin Caroni: Wer Teil des Stimmvolks sei, werde laufend neu definiert.

Landtag machtlos

Die österreichische Regelung scheint jedoch vorerst in Stein gemeißelt zu sein. Befürworter einer Reform gibt es zwar auch in SPÖ und ÖVP, doch sind sie bislang in der Minderheit.

So hat der steirische Landtag sich schon vor neun Jahren für ein Ausländerwahlrecht auf Gemeindeebene ausgesprochen, doch ohne Erfolg. Denn ohne Zweidrittelbeschluss im Nationalrat darf selbst die kleinste Gemeinde ihren ausländischen Bürgern kein Wahlrecht erteilen. Um die Schraube beim Einbürgerungsrecht noch fester zu drehen, reicht im Nationalrat hingegen eine schlichte Stimmenmehrheit. (Maria Sterkl, derStandard.at, 23.6.2014)