Wieso konnte er, ein junger Mann mit vorweisbaren großen Erfolgen, also ein für das Land absolut attraktiver Einwanderer, nicht auf Grundlage des ganz normalen Staatsbürgerschaftsgesetzes den hiesigen Pass bekommen?

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Wien - Nach einer Pause von über drei Jahren fanden Anfang Juni wieder im besonderen Interesse Österreichs statt, 59 an der Zahl, auf Beschluss des Ministerrats. Die dabei angewandten Kriterien waren Ende Februar, ebenfalls im Ministerrat, schriftlich beschlossen worden – in früheren Jahren waren sie in keinem Papier zusammengefasst gewesen. Auch der heurige Kriterien-Regierungsbeschluss war der Öffentlichkeit nur halb bekannt: In schlechter österreichischer obrigkeitsorientierter Tradition und unterfuttert durch das Amtsgeheimnis, dem Ministerratsbeschlüsse immer noch unterliegen, waren lediglich einzelnen Medienvertretern Papier-Auszüge verraten worden: Sie hatten darüber berichtet.

Dann kam der STANDARD in Besitz dieser mysteriösen Auflistung. Wenn auch vertraulich, so ist sie doch wenig überraschend:  Die Kriterien, unter denen Menschen, die der Republik in Wissenschaft und Wirtschaft, Sport, Kultur und darüber hinaus Positives bringen, den österreichischen Pass verliehen bekommen können, ohne sich den Prozeduren des Staatsbürgerschaftsrechts unterwerfen zu müssen, erstrecken sich vom "internationalen Bekanntheitsgrad“ bei Wissenschaftlern zum "wesentlichen Beitrag zum Kunstgeschehen Österreichs“.

Nur bedingt verbindlich

Diese Erwartbarkeit wundert nicht, denn im Unterschied zu  den Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes, deren Einhaltung auf Tag und Cent genau unter Beweis zu stellen sind, sind besagte Kriterien nur bedingt verbindlich. Vielmehr sollen sie  "in ihrer Gesamtheit als Orientierung zur sachlichen Einschätzung des Einzelfalles dienen“, steht einleitend im diesbezüglichen Vortrag an den Ministerrat von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Und die Kriterien müssen "nicht kumulativ erfüllt werden, sondern ein punktuelles, aber überwiegendes Erfüllen ist im Einzelfall ausreichend“.

Na und? – kann man nun sagen, wen wundert das? Immerhin geht es hier um Menschen, deren Einbürgerung Österreich besonders nützt, da wird sich die Regierung selber keine Regeln setzen, die punktgenau zu erfüllen sind, sondern einem breiten Ermessensspielraum den Vorzug geben. Das ist nicht unlogisch, hat aber einen Haken: Die gewährte Entscheidungsfreiheit eröffnet Interventionen und Intrigen Raum.

"Menschenverachtende Interventionen"

Das dürfte auch im Vorfeld der 59 heurigen Promi-Einbürgerungen geschehen sein. So ist einer Aussendung  des Österreichischen Schwimmverbandes (OSV) von Anfang Juni zu entnehmen: "Erleichtert ist man beim OSV über die bevorzugte Einbürgerung im Anbetracht massiver, teils öffentlicher und menschenverachtender Interventionen gegen die Sportlerinnen in den vergangenen Wochen“ . Die Rede ist von den drei aus Griechenland stammenden Synchronschwimmerinnen und Schwestern Anna-Maria, Vasiliki-Pagona und Eirini-Marina Alexandri. Ende Mai wurden sie  auf Beschluss des Ministerrats zu Österreicherinnen – offenbar nicht ganz friktionsfrei.

Eine jahrelange Zitterpartie wiederum dürfte die heuer gewährte außertourliche Einbürgerung für den aus Armenien stammenden Gewichtheber Sargis Martirosjan gewesen sein. 2012 berichtete der Kurier über den bereits 2005 als Flüchtling nach Österreich gekommenen Sportler, der jahrelang nur ein widerrufbares Bleiberecht in Österreich hatte: "Jeden Dienstag um 12 Uhr  (nach dem wöchentlichen Ministerrat, Anm.) sitze ich vor dem Computer, um zu sehen, ob es etwas Neues gibt", wird der junge Mann darin zitiert: "Jetzt reden wir schon drei Jahre." Seit 2009 bemühe sich der Gewichtheberverband schon um seine Staatsbürgerschaft.

Wieso nicht auf normalem Weg?

Warum, fragt man sich, musste Martirosjan so lang aufs Österreicherwerden warten? Wieso konnte er, ein junger Mann mit vorweisbaren großen Erfolgen, also ein für das Land absolut attraktiver Einwanderer, nicht auf Grundlage des ganz normalen Staatsbürgerschaftsgesetzes den hiesigen Pass bekommen? Vielleicht, weil er auf dem normalen Weg keine Chance hatte, so wie viele tausende andere Einbürgerungswillige auch: Das Gesetz legt extrem strenge Kriterien an. Vor allem die Einkommensnachweise sind für viele Betroffene unerfüllbar.

Diese gesetzlichen Kriterien müssten dringend überarbeitet werden. Die Anforderungen, die Österreich an Neo-Staatsbürger stellt, sollten nicht den Ausschluss sozial Schwächerer oder sonstwie benachteiligter Einwanderer vom Wahlrecht und Jobs zur Folge haben, für die man Österreicher sein muss. Doch das ist, wie bei vielen anderen überfälligen Reformen auch, unter den derzeit herrschenden politischen Mehrheiten nicht durchsetzbar.

Für die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, die zufolge hätte, dass auch Ministerratsbeschlüsse wie besagte Promi-Einbürgerungskriterien ohne Wenn und Aber öffentlich wären, scheinen die Chancen besser zu stehen. Vielleicht würde es in diesem Fall eine breitere Diskussion über Sinn oder Unsinn dieser außertourlichen österreichischen Einbürgerungspraxis geben. (Irene Brickner, derStandard.at, 22.6.2014)