Flankiert die Untersuchungen von Six/ Petritsch: Mathias Zibermayers "Chronoglobium" von 1847.

Foto: Ernst Grilnberger

Eine weitere Arbeit des Duos: "Raum für 5 min 16 sec."

Foto: © Bildrecht, Wien, 2014

Six/Petritsch: "24 Stunden Belichtung - Tag 39"

Foto: © Bildrecht, Wien, 2014

Linz – Fiktion als jahrhundertalte Sehnsucht: Bereits 1609 verfasste der Astronom Johannes Kepler eine Schrift, die den Titel Der Traum, oder: Mond-Astronomie trägt. Eine frühe Science-Fiction-Geschichte, in der Kepler sowohl Schwerkraft als auch eine Mondlandung beschreibt. Mittlerweile sind die Spuren des Menschen auf der Mondoberfläche eingraviert, hat sich der Mensch zumindest dieser Fiktion beraubt und sie durch Realität ersetzt.

Die Spuren, die der Mensch im „Meer der Stille“ hinterlassen hat, übertragen Nicole Six und Paul Petritsch in das zarte Grün einer Kärntner Alm. Kühe grasen rund um das eigentümliche Wegegeflecht, das vielleicht sogar vom Mond aus gesehen werden könnte. Die Erfindung des Fernrohrs begründete Keplers Geschichte, die nun wie einige andere Objekte aus der Sammlung der Landesgalerie in die eigene Schau aus Versuchsanordnungen verflochten und verwoben wird.

Versunken im Eiswasser

Versuchsanordnungen, in denen die Künstler Momente der Gefährdung oder des Entzugs suchen. Etwa wenn Paul Petritsch auf dem gefrorenen Neusiedler See stehend rund um sich ein Loch ins Eis hackt. 28 Minuten dauert das Video Räumliche Maßnahme (2002), ebenso lange braucht Petritsch, um „den Raum“ um sich herum „zu öffnen“, um im Wasser zu versinken. Die Projektion des Videos in einem eigens dafür geschaffenen Raum vermittelt eine Atmosphäre, in der es nicht nur um Selbstgefährdung und Kontrollverlust geht, sondern auch um die Demontage eines Bildbegriffs, der von Unversehrtheit und Schönheit spricht. Es ist diese Bereitschaft, sich als Künstler einerseits zu gefährden, andererseits aber dem daraus entstehenden ästhetischen Anspruch zu misstrauen, die auch diese Schau des Künstlerduos spannend macht. Die bleibt ja – trotz Kepler und Mondfahrt – retrospektiv.

Die Grundausrichtung bleibt stets die gleiche: Nicole Six und Paul Petritsch wollen sich selbst als Künstler-Körper vermessen, in Bezug stellen zu umgebenden Räumen und Situationen, die durchaus als gefährlich beschrieben werden können. Mehr noch – so verdeutlicht es Nicole Six – sind sie und Paul Petritsch in den Arbeiten auf der Suche nach dem eigenen Verschwinden. Wunderbar veranschaulicht durch das Projekt Atlas (2010): Im Wunsch, die Erde zu umrunden, finden die beiden eine aufgelassene Rennstrecke in einem Ort nahe dem Nullmeridian. Mit einem Motorrad befahren sie die zwei Kilometer lange Strecke, so lange, bis eine Umrundung – 40.000 Kilometer unter Einbeziehung von Erdrotation und der Rotation der Erde um die Sonne – geschafft ist.

Künstlerpaar auf dem Moped

Auf Notizblöcken wird für jede gefahrene Runde ein Strich gezogen – in der Landesgalerie ist eine Wand vollgehängt mit Kopien dieser Zettel. Außerdem belichtet eine Lochkamera pro Bild 24 Stunden. Auf den dadurch entstandenen Polaroids ist zwar der Weg der Sonne als Streifen am Himmel zu sehen, nicht mehr aber (weil dann doch zu schnell) das Künstlerpaar auf dem Moped.

In der Arbeit Intervention für 24 Stunden (2010) „verschwand“ Nicole Six in einem Hohlraum in der Wiener Secession. In der Landesgalerie zu sehen sind die Ziegel aus diesem Hohlraum. Als Skulptur repräsentieren sie die minimale Ausdehnung des eigenen Körpers und steht so kontrapunktisch zur maximalen Ausdehnung eines Körpers während einer Weltumrundung.

In manchen Arbeiten allerdings nehmen sich Six/Petritsch maximal zurück: etwa mit der sechsteiligen Serie von Zeichnungen, auf der kaum sichtbar mit Bleistift die Reiserouten verschiedene Polfahrer wie Ernest Henry Shackleton oder Roald Amundsen festgehalten sind. (Wiltrud Hackl, DER STANDARD, 21./22.6.2014)