Iain Banks: "Die Wasserstoffsonate"
Broschiert, 700 Seiten, € 16,50, Heyne 2014 (Original: "The Hydrogen Sonata", 2012)
Der Weltraum. Unendliche Weiten. - Nein, das war vorgestern. Das Sublime. Das fast greifbare, völlig glaubhafte und mathematisch beweisbare Nirwana, nur ein paar rechte Winkel vom guten, alten, langweiligen Realen entfernt: eine riesige, unendliche, besser-als-virtuelle Ultraexistenz ohne Aus-Schalter. Seit der metaphorischen Kindheit der Galaxis war das Sublime Ziel aller Spezies und Zivilisationen, die vom Leben im Realen die Schnauze voll hatten.
Die Gzilt sagen Servus
Im leider letzten Roman der "Kultur"-Reihe von Iain Banks rückt nun also das in den Mittelpunkt, was zuvor nur am Rande erwähnt wurde: Eine Spezies entscheidet sich für das große transzendentale Remmidemmi der Sublimation, den Gang auf eine höhere Ebene des Seins, die irgendwo in den Dimensionen 7 bis 11 der Stringtheorie liegt. Alleine obige Formulierung zeigt schon, dass Banks auch das "Jenseits" eher weltlich sieht. Und die humanoiden Gzilt wirken auch nicht unbedingt reifer oder erhabener als das normale interstellare Imperium von nebenan.
Sie sind eine "Cousin-Zivilisation" der Kultur, jenes sympathischen, egalitären, hedonistischen, mobilen, neugierigen, schamlosen und - wie es in einer Rezension richtig hieß - durchaus auch machiavellistischen Bundes aus menschenähnlichen Völkern und Künstlichen Intelligenzen, der der Reihe den Namen gegeben hat. Die Gzilt halfen bei der Gründung der Kultur vor 10.000 Jahren mit, entschieden sich aber im letzten Moment dagegen, sich ihr anzuschließen und sich mit den anderen Menschenartigen zu vermischen.
Und nun sind sie reif für den nächsten Schritt. "Scavenger"-Spezies werden vorstellig, um die zu hinterlassenden Planeten und technischen Errungenschaften zu übernehmen - da gilt es Konflikte zu verhindern. Und aus heiterem Himmel braut sich noch ganz anderes Ungemach zusammen. Ein Botschafter der Zihdren, der einstigen Mentoren der Gzilt, möchte noch schnell was Wichtiges zum Heiligen Buch der Gzilt loswerden, bevor diese die Ewigkeit betreten. Doch sein Schiff wird abgeschossen, ehe er die potenziell weltbildverändernde Botschaft verkünden kann.
Lost in Culture
Eine ganze Reihe von Figuren ist daraufhin in einer Art kosmischen Schnitzeljagd damit beschäftigt, den einzigen überlebenden Zeitzeugen der Kulturgründung zu finden, weil nur dieser den Wahrheitsgehalt der Botschaft bestätigen kann. Allen voran Lieutenant Commander Vyr Cossont, eine Gzilt, die sich extra zwei zusätzliche Arme hat wachsen lassen, um auf einem monströsen Instrument die in der ganzen Galaxis berühmt-berüchtigte Wasserstoffsonate spielen zu können - stattdessen wird sie nun aus dem Ruhestand geholt. Oder das Kulturschiff "Caconym", das in seinem Gehirn einer zweiten KI Asyl gegeben hat. Die war schon im Sublimen und macht die "Caconym" deshalb zum vermeintlichen Experten in der Causa Gzilt.
Kapiteltragende Figuren kommen und driften wieder in den Hintergrund, dafür tauchen andere auf ... ich muss gestehen, dass sich bei mir etwa ab der Hälfte des Romans ein gewisses Gefühl der Unübersichtlichkeit eingestellt hat. Auch weil pro Kapitel immer gleich mehrere Handlungsstränge vertreten und nur durch Absätze getrennt sind. Skurrile Sprechweisen und kunstvoll geklöppelte Dialoge, die von Namen und Ortsbezeichnungen schier überquellen, werden mitunter zur Herausforderung. Und die Namen der Kulturschiffe sind wie stets so auffällig, dass sie fast schon wieder austauschbar werden. Meine Lieblinge diesmal sind übrigens "Nur die Waschanleitung für des Lebens pralles Gewebe" und "Das nennst du sauber?".
Viel Positives
Andererseits war dieser skurrile Humor ja auch stets Iain Banks' Markenzeichen. Und ich muss klar denen widersprechen, die zwar Banks politischen Entwurf einer positiven Zukunftsgesellschaft und seinen Ideenreichtum loben, ihn aber nicht für einen guten Stilisten halten. Im Gegenteil, der Stil bringt hier in idealer Weise zum Ausdruck, was auch die dahinterstehende Philosophie ist: Nimm nicht alles so ernst. Und wenn du schon etwas ernst nehmen musst, dann nimm's wenigstens locker.
Und in Sachen Ideenreichtum enttäuscht Banks auch diesmal nicht. Da hätten wir zum Beispiel eine "suborbitale Raumstation": Einen ausgehöhlten Asteroiden, dessen Umlaufbahn sukzessive so weit abgesenkt wurde, bis er nun unter dem Oberflächenniveau eines Planeten durch monumentale Kanäle fegt wie Pac-Man in 3D. Oder tanzende Raumschiffformationen insektoider Aliens oder eine Orgie, die dem Begriff Fleischlichkeit ganz neue Dimensionen verleiht. Kurz: Es ist eine Revue mit erstklassiger Ausstattung.
Wie es euch gefällt
Jeder Banks-Fan dürfte mit sehr gemischten Gefühlen an dieses Buch herangehen. Zum einen ist da die Vorfreude auf endlich einen neuen "Kultur"-Roman. Doch wird die bei weitem von der Trauer über Iain Banks' Tod im vergangenen Jahr überwogen.
Dass "Die Wasserstoffsonate" damit ungeplant in den Rang eines Vermächtnisses gerückt ist, macht eine objektive Einordnung des Romans nicht gerade einfacher. Ohnehin gehen die Meinungen weit auseinander, was denn der beste "Kultur"-Roman sei. Für mich beispielsweise spielt "Krieg der Seelen" ganz vorne mit. Andere sehen das komplett anders und schwören vor allem auf die ältesten Teile der Reihe wie "Bedenke Phlebas". Letztlich dürfte der Effekt der gleiche sein wie bei einer Lieblingsband: Welches Album man am besten findet, hängt hauptsächlich davon ab, in welchem Abschnitt der Bandgeschichte man zum Fan geworden ist.
Der Sinn des Lebens
Es bleibt aber der eigenartige Umstand, dass das Metaphysische - das in der gesamten "Kultur"-Reihe durchaus immer wieder thematisiert wurde - just in den beiden letzten Romanen am stärksten präsent ist: In "Krieg der Seelen" waren es virtuelle Höllen, in der "Wasserstoffsonate" ist es der Gang ins Sublime, eine Art SF-Version von Tolkiens Unsterblichen Landen. Als hätte Banks das nahende Ende vorausgeahnt - beide Romane waren allerdings bereits fertiggestellt, ehe er die niederschmetternde Diagnose Krebs ohne Heilungschance erhielt.
Auch wenn hier also Banks' persönliche Situation nicht eingeflossen ist, kann man nachträglich gar nicht anders, als den Text in diesem Licht zu lesen. Wenn der 10.000 Jahre alte QiRia abgeklärt über den Sinn des Lebens - und dass es letztlich keinen gibt - philosophiert, muss man schlucken. Aber auch grinsen, kommt hier doch der typisch Banks'sche Humor, den sich der Autor bis zuletzt bewahrte, einmal mehr zur Geltung. Fast klingt es wie Banks' eigener Nachruf, wenn QiRia schildert, was von den Irrungen und Wirrungen des Lebens bleibt, wenn man sie nur noch gelassen von außen betrachtet:
"Eine Art Schadenfreude. Wenn man den Tiefpunkt überlebt, der mit dem Verständnis einhergeht, dass die Leute auch weiterhin dumm bleiben und grausam zueinander sind, ganz gleich, was auch geschieht, bis in alle Ewigkeit - wenn man diesen Tiefpunkt überlebt; viele begehen an dieser Stelle Selbstmord -, dann kann man beginnen, sich eine neue Einstellung zu eigen zu machen, die da lautet: Ach, was soll's. Es wäre weitaus wünschenswerter, wenn die Dinge besser wären, aber sie sind es nun einmal nicht, und wir müssen das Beste daraus machen. Mal sehen, welchen Schwachsinn sich die Tölpel diesmal einfallen lassen, um sich das Leben schwer zu machen."
R.I.P., Iain Banks.