Es sind nur vier Mandate, die die belgischen Separatisten von der Neuen Flämischen Allianz (N-VA) bei den Europawahlen am 25. Mai gewonnen haben: nicht viele bei künftig insgesamt 751 Abgeordneten im Europäischen Parlament, das sich in knapp zwei Wochen in Straßburg neu konstituieren wird.

Und dennoch sind es genau diese vier von der N-VA, die im Parteiengefüge starke Änderungen auslösen dürften. Bisher gehörten sie der Fraktion der Grünen an. Sie war mit 57 Mandaten seit 2009 viertstärkste Fraktion - hinter den Liberalen mit zuletzt 83 Sitzen.

Chef der liberalen Fraktion ist der frühere belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt - kein Zufall: Wegen ihm wollen die N-VAler einen spektakulären Wechsel machen: weg von den Grünen, aber nicht hin zu den EU-freundlichen Liberalen, wie es schien, sondern zur Fraktion "Europäische Konservative und Reformisten" (ECR), den konservativen EU-Skeptikern also.

Bunte Sammlung

Versammelt sind dort nicht nur die britischen Tories, die die Fraktion 2009 nach Abspaltung von den Christdemokraten (EVP) gegründet hatten (mit dem Segen von Premier David Cameron). Es finden sich auch polnische Nationalkonservative (PiS), die dänische Nationalpartei, die Wahren Finnen, die Anti-Euro-Partei AfD aus Deutschland.

Infolge der N-VA-Rochade würden die britischen EU-Skeptiker mit einem Schlag drittstärkste Fraktion werden (68 Mandate). Die Liberalen fielen mit 67 auf Platz vier zurück. Und die Grünen rutschten mit 50 Mandaten hinter die Linksfraktion (GUE / Nordische Linke) als nur sechststärkste Fraktion, wie die Abgeordnete Ulrike Lunacek bestätigt, das "proeuropäische Lager" sei geschwächt.

Es ist nicht ganz auszuschließen, dass Grünen auch noch von der Fraktion "Europa der Freiheit und Demokratie" (EFD) überholt werden. Diese wurde bisher von der Unabhängigkeitspartei (Ukip) des Briten Nigel Farage getragen, der die EU auflösen, aber nichts mit dem rechtsextremen Front National (FN) von Marine Le Pen zu tun haben will - wegen dessen antisemitischer Tiraden. Le Pen will ebenfalls eine Fraktion bilden (mit FPÖ und Lega Nord unter anderem).

Farage und Grillo

Wie Farage Mittwoch bestätigte, werden sich die 17 EU-Abgeordneten der Fünf-Sterne-Bewegung des italienischen EU-Skeptikers Beppo Grillo seiner EFD anschließen, die nach vorläufiger Zählung auf 48 Sitze käme (davon 24 der Ukip). Der Erfolg der Rechtsparteien und die Bildung von drei EU-feindlichen Fraktionen wird die Arbeitsabläufe, die Reihenfolge auf den Rednerlisten, die Ausschüsse, stark verändern. Relativ groß bleiben nur die Fraktionen von Christdemokraten (EVP, 221) und Sozialdemokraten (191) - wobei die EVP 50 Sitze verlor.

"Proeuropäische" Mehrheiten werden also schwerer zu finden sein. Aber noch ist es nicht so weit. Vor der Konstituierung des Parlaments steht nächste Woche der EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs an, die sich entscheiden müssen, ob sie Jean-Claude Juncker als Kandidaten für den Posten des EU-Kommissionschefs nominieren oder nicht.

Der SP-Spitzenkandidat Martin Schulz legte Mittwoch sein Amt als Präsident des Parlaments zurück, ist jetzt SP-Fraktionschef, will aber bald Junckers Vizepräsident werden, wie er bekräftigte. (DER STANDARD, 19.06.2014)