Wien - Der Saal war fast voll, die Aufmerksamkeit groß und auf die vier Diskutanten auf dem Podium gerichtet. Das traf sich gut, und war zugleich fast paradox.

Denn der Abend vergangenen Donnerstag im Theatersaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften war dem "Multitasking in der hyperaktiven Gesellschaft" gewidmet. Ob das "Ende der Aufmerksamkeit" nahe sei, fragte das veranstaltende Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte im Ernst-Mach-Forum die Experten. Die kamen aus ihren jeweiligen Blickwinkeln zu entsprechend unterschiedlich gewichteten Antworten.

Martin Kurte, Neurobiologe an der TU Braunschweig, führte aus, dass wir uns zwar viel merken, aber nur wenig parallel tun können, maximal zwei Dinge gleichzeitig - Männer und Frauen übrigens gleich schlecht. Jede Generation aber, sagte er, habe neue Techniken der Interaktion. Mit der Kultur veränderten sich das Gehirn und damit die Gewohnheiten, Wissen zu speichern und abzufragen.

Die Wirtschaftspsychologin Sandra Ohly von der Uni Kassel wies auf den Unterschied zwischen Multitasking und den immer häufigeren Unterbrechungen hin, die wir in modernen Arbeitsumgebungen erleben. Letzteres sei nicht ein Phänomen der Gleichzeitigkeit, wirke sich aber ähnlich aus: Was immer wir tun, die jeweiligen Aufgaben leiden darunter. Darum seien Erholungspausen wichtig, gerade in einer Zeit, in der man immer und überall arbeiten kann.

Reizüberflutung habe es jedoch immer schon gegeben, bzw. sei sie ein Kritikpunkt der jeweils älteren Generation, die nicht mehr mithalten könne, ergänzte Stefan Rieger, Professor für Mediengeschichte an der Ruhr-Uni Bochum, und zitierte dazu Zeugnisse aus dem 19. und 18. Jahrhundert. Für ihn ist Multitasking, wie er auch in seinem kürzlich erschienenen Buch mit gleichnamigem Titel ausführte, eine Karikatur der Moderne, die sich durch Belege der Hirnforschung kaum entschärfen ließe.

Darauf bezog sich schließlich auch der Medien- und Kommunikationswissenschafter Peter Vorderer. Er war skeptisch gegenüber der von Hirnforscher Manfred Spitzer popularisierten "digitalen Demenz". Vielmehr sehe er, mehr oder weniger wertfrei, parallele Tätigkeiten als Folge von Konkurrenzdruck, erwarteter Fitness am Arbeitsplatz und der technischen Entwicklung, zurzeit gipfelnd in mit Apps überladenen Smartphones. Dahinter stehe das Bedürfnis, mit der Welt und der sozialen Umwelt in Verbindung zu stehen.

Hirnsignale im Hörsaal

Sind wir heute, so eine Frage aus dem Publikum, weniger fähig, konzentriert aufmerksam zu sein? Nicht unbedingt, sagte Ohly, Tests hätten über die Jahrzehnte eher verbesserte Konzentrationsleistungen nachgewiesen. Vielleicht verwenden wir heute auch andere Strategien zur Informationsverarbeitung - wobei die Frage offen bleibt, ob die moderne Mediennutzung eher Ursache oder Folge dieser Leistung ist.

Wie zu erwarten, ging es auch um das Multitasking als Generationsfrage bzw. -problem. Die Professoren auf dem Podium kamen wiederholt auf ihre Erfahrungen in den Hörsälen zu sprechen. Es gebe immer mehr simultan tätige Studenten. "Wenn Multitasking gelingt", sagte Kurte, und seine Kollegen stimmten ihm zu, "wird man im Gehirn belohnt. Nach 15 Minuten werden meine Studenten unruhig, nach 30 habe ich keine Chance - das Belohnungssystem signalisiert: Mach mehreres gleichzeitig! Und die Hörer greifen zu ihren Smartphones."

Ganz anders das anwesende Publikum. Ob es, so die erfreute Schlussbemerkung, an der lebhaften Diskussion lag oder wohl auch daran, dass es sich, um bei dem Bild zu bleiben, überwiegend um ältere Semester handelte: Die Aufmerksamkeit war ungebrochen.

Dann aber ging's ins Erdgeschoß zum gleichzeitigen Trinken, Grissini-Essen und Gedankenaustauschen, während man mit halbem Ohr den Nachbarn zuhörte. (Michael Freund, DER STANDARD, 18.6.2014)