Zeki Kücükgöl über Erdogan: "An den Fakten messen".

Zeki Kücükgöl wird sich Erdogans Auftritt in Wien ansehen. "Natürlich", sagt er, "schließlich studiere ich Politikwissenschaften, da muss man schon zu so etwas hingehen und auch schauen, was sich bei den Gegen-Demos so tut." Wäre nicht das Studium, er würde sich die Rede des türkischen Premiers wohl eher auf YouTube ansehen.

Zeki, 30, aus Usak (Westtürkei) stammender Österreicher, verheiratet, 2 kleine Kinder, ist neben seinem Studium an einer Wiener Schule tätig. Dort, sagt er, könne er "oft sehen, was es bedeutet, wenn Kinder weder deutsch noch türkisch können." Genau so wolle er die Aussage Erdogans in Köln, die Türken mögen sich "nicht assimilieren", auch verstanden wissen: "Es ging ihm vor allem darum, dass die Menschen ihre Sprache nicht verlieren dürfen." Medial herausgerissen würden dann ein, zwei Zitate - und das Bild vom Nationalisten Erdogan sei "wieder stimmig".

Jahrzehntelanges Desinteresse

Zekis Familie kam 1990 nach Wien, da war Zeki gerade sechs Jahre jung. Er wuchs im Bezirk Tulln auf, der Vater war Hilfsarbeiter am Bau, die Mutter zu Hause. Wenn ihn früher jemand "deppert anredete", war dies meist plumpe Fremdenfeindlichkeit. Heute sei die Ablehnung inhaltlicher, speziell turko- und islamophob.

Zeki hält Erdogan für einen "ziemlich guten Politiker - wenn man ihn an den Fakten misst". Und die seien: wirtschaftlicher Wohlstand und mehr demokratische Freiheiten - "auch, wenn das für Sie jetzt vielleicht komisch klingt". Zeki nennt zwei Beispiele: Vor Erdogan sei kurdisch verboten gewesen - nun gebe es kurdisches TV; Früher herrschte Kopftuchverbot, das sei für viele Frauen ein großes Problem gewesen.

Dass Erdogans AKP sich auch stark ins Privatleben einmische, etwa beim Verbot gemischt-geschlechtlicher WGs, sowie seine zeitweiligen Feldzüge gegen Twitter und Facebook, sei ihm persönlich zu viel: "Das würde ich in Österreich nicht wollen." Aber auch da sei die türkische Gesellschaft gespalten, "das setzt sich in Österreich fort". Er kenne kaum Freundschaften zwischen Erdogan-Befürwortern und -Gegnern. Dass türkische Innenpolitik überhaupt so viel Aufmerksamkeit genieße, sei auch die Schuld der hiesigen Politik: "Jahrzehntelang hat sich hier niemand für uns interessiert." (stui, DER STANDARD, 18.6.2014)