Bild nicht mehr verfügbar.

Proteste gegen Erdogans jüngsten Auftritt im Mai in Köln. Der türkische Ministerpräsident treibe mit seinen Reden einen Keil in die (Einwanderer-)Gesellschaften Europas, sagen Kritiker.

Foto: AP/Rolf Vennenbernd

Der bevorstehende Wahlkampfauftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Wien, seine polarisierende Politik sowie seine Anhängerschaft in Form von "Kulturvereinen", "NGOs" und "instrumentalisierten Moscheevereinen" transportieren die aktuelle türkische Innenpolitik nach Österreich.

Allein die Ankündigung, dass der islamistische Politiker in Wien einen Auftritt absolvieren wird, hat in sozialen Netzwerken für höchst aufgeladene Stimmung gesorgt. Kritiker Erdogans und seiner Unterstützer werden beschimpft, verunglimpft und sogar offen mit Gewalt bedroht. Dies geht vor allem von Akteuren aus dem Umfeld der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) und sonstigen Ablegern der türkischen Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) in Österreich aus. Die AKP selbst distanziert sich nicht von derartigen Verunglimpfungen und genau dies zeigt, welche Geisteshaltung hier gegenüber Andersdenkenden eingenommen wird.

Unterschiedliche kleinere Verbände mit konservativ-islamistischer Agenda tragen außerhalb der Türkei dazu bei, dass stets eine Lücke zur Mehrheitsgesellschaft aufrechterhalten wird. Von genau dieser Lücke leitet sich die Existenzberechtigung vieler dieser "Vereine" und nicht auch zuletzt der österreichischen Rechten ab. All diese Gruppierungen sind in Österreich miteinander verbunden. Die Netzwerke reichen bis in die Türkei, wo diese von Parteien wie der AKP, MHP, Millî Görüs oder anderen religiösen Gruppen gesteuert, instrumentalisiert und organisiert werden. Österreich ist insofern zum Hinterland des politischen Islam geworden.

Einige Akteure aus diesen Gruppierungen sind in den österreichischen Regierungsparteien - der ÖVP und der SPÖ - aktiv und wurden auch bei der Nationalratswahl 2013 ins Rennen geschickt. In den Moscheen wurde aktiv um Wählerstimmen für SPÖ und ÖVP geworben, im Gegenzug gab und gibt es diverse Unterstützungsleistungen: Diese reichen vom Empfang beim Bundespräsidenten bis zu gesponserten Multikulti-Festen, diversen Sachspenden und Sponsoring für Konzerte von eingeflogenen Künstlern aus dem Herkunftsland

Erdogan liefert sich mit jedem seiner Auftritte und verbalen Attacken gegen Andersdenkende in Europa - sei es gegen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, den deutschen Abgeordneten Cem Özdemir oder auch gegen Bürger der Zivilgesellschaft - ein Wettrennen mit den europäischen Rechten über Ausgrenzung, Diffamierung und Polarisierung. Würde ein anderes Staatsoberhaupt eine an Erdogans Rede in Köln angelehnte Propagandaveranstaltung in der Türkei vor zigtausenden deutschsprachigen Menschen halten und kurzerhand den Präsidenten der AKP und Ministerpräsidenten Erdogan verunglimpfen, wie würden Erdogan und seine Anhängerschaft wohl reagieren? Verwüstete Privatwohnungen, Geschäftslokale und niedergebrannte Objekte von Deutschen und Österreichern könnten als Antwort wohl nicht ausgeschlossen werden.

SPÖ und ÖVP als Komplizen

Erdogans Auftritt in Österreich und seine von der Türkei aus gesteuerten Institutionen sind Wind in den Segeln der österreichischen Rechten. Leider wird diese Thematik politisch nur dem rechten Lager überlassen. SPÖ und ÖVP unterstützen diese Gruppierungen und machen deren Vertreter salonfähig. Die Grünen bringen die wenigen Kritiker dieser Entwicklung zum Schweigen und stellen diese auf das politische Abstellgleis. Somit ma-chen sich alle politischen Parteien für den Status quo mitverantwortlich.

Wenn Erdogan in Europa von der Gefahr der Assimilierung spricht, dann verschweigt er, dass er selbst in der Türkei diese Po-litik betreibt. Gastarbeiter in Europa haben zu dem Aufschwung in den Aufnahmeländern sowie in der Türkei beigetragen und dennoch haben sie den Bezug zu ihrem Herkunftsland nicht verloren. In Österreich ist der Is- lam eine seit 1912 anerkannte Glaubensgemeinschaft. Türkischsprachige Kinder können in der Schule in ihrer Muttersprache Zusatzunterricht erhalten, muslimische Gläubige in Moscheen und Gebetshäusern ihre Religion ausüben. Von all diesen Rechten und Möglichkeiten für die in der Türkei praktizierten, vom sunnitisch geprägten Islam abweichenden Religionen wie Christen und Aleviten oder anderen Ethnien ist die Türkei unter Führung der AKP und Erdogans weit entfernt.

Ruft Erdogan in Europa seine Anhänger dazu auf, sich nicht zu assimilieren, dann vergisst er, dass er in der Türkei genau dies der Bevölkerung abverlangt. All jenen, die sein islamistisches Weltbild und seine Lebensweise nicht teilen, hat Erdogan den Krieg erklärt. Eines von vielen Beispielen dafür liefert der Umgang mit CNN-Reporter Ivan Watson, der live über die Entwicklungen auf dem Taksim-Platz berichtete. Watson wurde de facto aus der Türkei ausgewiesen, weil ihn Erdogan als Spion und westlichen Kollaborateur verunglimpfte.

Da es sich bei Erdogans Österreichaufenthalt offensichtlich um Wahlpropaganda handelt, ist es überaus wichtig, dass Erdogan von den offiziellen Vertretern der Republik Österreich nicht empfangen wird. Alles andere wäre eine Aufwertung sowie eine Verkennung der Tatsachen und ein fatales Signal auch gegenüber der Demokratiebewegung in der Türkei. Die Zivilgesellschaft wird aufgerufen, friedliche Gegendemos zu organisieren, um den nationalistisch-islamistischen Einflüssen etwas entgegenzuhalten.

Die Türkei und Österreich pflegen seit Jahrzehnten einen intensiven Austausch auf wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlicher Ebene. Dieser Konsens darf nicht wegen des aktuellen Wahlkampfs seitens der türkischen Regierung geopfert werden. Erdogan ist jedenfalls angehalten, in Österreich seine Worte mit größter Sorgfalt zu wählen und nicht - wie etwa in Deutschland - die Repräsentanten unseres Landes zu verunglimpfen oder gar zu bedrohen. Rede- und Meinungsfreiheit in einer funktionierenden Demokratie bedeutet nicht, dass Andersdenkende unter dem Schutzmantel der Immunität diffamiert werden dürfen. (Efgani Dönmez, DER STANDARD, 17.6.2014)