Wien - Es grenzt an Ironie. Im eigenen Land wollte der türkische Premier kürzlich noch Twitter verbieten, in Österreich werben seine Anhänger nun ausgerechnet über Facebook und andere Social-Media-Kanäle für sein Kommen. Inzwischen steht fest: Recep Tayyip Erdogan soll Donnerstagnachmittag in der Albert-Schultz-Halle auftreten. "Ich weiß von zig Bussen, die allein aus Tirol organisiert wurden. Erdogan hat in Österreich zahlreiche Anhänger. Was er sagt, ist für viele von ihnen Pflicht", sagt Güven Tekcan, türkischstämmiger ÖVP-Gemeindevorstand in Telfs. Wenn der Premier also die richtigen Worte finde, könne er einen wertvollen Beitrag leisten, glaubt er.

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Die Albert-Schultz-Halle ist das Heimstadion der Wiener Eishockeymannschaft Vienna Capitals, die sich bereits im Vorfeld vom Besuch des Regierungschefs distanziert hat. Veranstalter ist der Verein UETD (Union of European Turkish Democrats) - mit denen habe die Eissport Management GmbH nichts zu tun, richtet sie am Montag aus.

Türkische Community mobilisiert

Der Präsident der UETD, Abdurrahman Karayazili, wettert indessen über Youtube, erzählt Ahmet Demir von den Tiroler Grünen: "In der Videobotschaft beklagt er, dass einige Räumlichkeiten nicht genutzt werden konnten, weil sich die Besitzer aufgrund des politischen Drucks nicht an ihre Abmachungen halten wollten." Das mobilisiere die türkische Community erst recht - und heize gleichermaßen die Stimmung gegen ihre neue Heimat auf. Diese Befürchtung hat wohl auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Sie schließt sich den Worten von Außenminister Sebastian Kurz an und richtet einen Appell an Erdogan: Seine Ansprache dürfe auf keinen Fall einen "Keil in die türkische Community treiben". Sie wünsche sich vom Regierungschef ein "sensibles Vorgehen".

"Hinterland des politischen Islams"

Bei den Grünen will daran niemand so recht glauben. "Ausgehend von seinen bisherigen Reden in Deutschland muss man damit rechnen, dass seine Worte Wasser auf den Mühlen der Rechten und von Gegnern des Zusammenlebens sein wird", sagt die Nationalratsabgeordnete und Integrationssprecherin Alev Korun. Der grüne Bundesrat Efgani Dönmez geht noch einen Schritt weiter. Durch österreichische Verbände mit "konservativ-islamistischer Agenda" und Netzwerken bis in die Türkei zu Parteien wie der AKP sei Österreich zum "Hinterland des politischen Islams geworden", sagt er.

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Vor dreieinhalb Wochen stattete der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan Köln einen Besuch ab.
Foto: dpa / Oliver Berg

Nurten Yilmaz, die seit dieser Legislaturperiode für die SPÖ im Nationalrat sitzt, hat einen anderen Zugang. Sie hält den inoffiziellen Besuch des türkischen Premiers zwar für "befremdlich", richtet ihre Kritik allerdings auch gen Westen: "Es ist doch kindisch, wenn die EU nicht mehr mit einem Beitrittskandidaten redet, sobald Konflikte auftreten. Gerade jetzt sollte man intensiv mit der Türkei verhandeln und den kritisierten Menschenrechtsverletzungen nicht untätig zusehen."

Keine Freude über den bevorstehenden Besuch des Premiers herrscht auch bei Alevi, der Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. "In Europa fordert Erdogan für die Türken Moscheen und Religionslehrer. Im eigenen Land hingegen zeigt er Minderheiten gegenüber kein Entgegenkommen", sagt Riza Sari, Pressesprecher der seit Mai 2013 offiziell anerkannten Religionsgemeinschaft.

Werben um Sunniten

Erdogan, so meint er, spreche für Teile der türkischen Sunniten. Nach Österreich komme der Premier, um unter den hiesigen türkischen Sunniten um Wählerstimmen zu werben.

Erdogan punktet in Österreich vor allem bei sunnitischen Türken und Kurden, die religiös sind. Seine Anhänger und Sympathisanten finden sich in der Regel in den Moscheevereinen hierzulande, denn sie sehen Erdogan als einen der ihren an. Erdogan spricht im Ausland jene an, die aus einfachen Verhältnissen kommend, fromm sind oder zumindest das traditionelle Leben aus der Heimat beibehalten haben.

Wenige Anhänger hat Erdogan in Österreich naturgemäß unter jenen, die auch in der Türkei gegen ihn sind: Kemalisten, Kurdisch-Nationale und Aleviten. Es sind auch jene Gruppen, die in Österreich zu Gegendemos aufrufen - jeweils getrennt. (Rusen Timur Aksak, Irene Brickner, Katharina Mittelstaedt, Markus Hametner, DER STANDARD, 17.6.2014)