Im Rennsport nicht wegzudenken, tauchte die Heckfinne immer wieder im Auto-Design auf. Eine Aufarbeitung eines Themas, mit dem sich die Designer nie leichttaten

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Selten lagen bei den 24 Stunden von Le Mans Debakel und Erfolg so nah beisammen. Denn nominell verantwortete das Elektro-Gerät von Nissan namens ZEOD RC am vergangenen Rennwochenende einen spektakulären Flop: Nach einer Stunde war wegen eines technischen Defekts Schluss. Früher fiel keiner aus. Dafür erfüllte der Elektro-Dartpfeil zwei von Nissan ausgegebene Ziele: über 300 km/h Top-Speed sowie eine komplette Runde (13,6 Kilometer).

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Abseits dieser Einträge ins große Elektroauto-Brevier vermochte der fahrende Deltawing vor allem mit seiner Optik, und da nicht zuletzt mit seiner monumentalen Heckfinne aufzufallen. Die tauchte in den vergangenen Jahren immer wieder auf - um nach kurzen Heydays relativ rasch wieder zu verschwinden. Zeit, uns das rätselhafte Ding einmal genauer anzusehen und die Historie der Haifischflosse zu würdigen.

Foto: nissan

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Aktuell feiert der Vertikal-Flügel bei Langstrecken-Prototypen wie etwa dem Porsche 919 Hybrid eine Renaissance. Der Grund: Die Flosse soll vor allem die gen Heck strömende Luft beruhigen, um dem Querspoiler den Abtriebsjob zu erleichtern. Derlei stabilisiert das Hinterteil, speziell in schnellen Kurven und beim Anbremsen. Auf den bei Langstreckenrennen üblichen Endlosgeraden soll die Finne vor den gefürchteten "Blow-overs", also dem Abheben der Vorderachse, schützen.

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Auch die Formel 1 trug immer wieder und mehr oder weniger signifikante Finnen, zuletzt vor einigen Jahren (im Bild ein Red-Bull-Bolide aus dem Jahr 2010). Am Ende der Saison wurden die Leitschilder vom Reglement abgeschafft. Böse Zungen behaupten, der einzige Sinn der riesigen Airbox-Verlängerungen sei eine ungleich größere Werbefläche gewesen. Der aerodynamische Vorteil ist generell umstritten, vor allem die höhere Seitenwindanfälligkeit sorgt für böse Zuckungen in den Telemetriedaten.

Einem zivilen Publikum präsentierte sich der markante Anbau vor wenigen Wochen beim Concorso d'Eleganza. Mit der Roadster-Studie Superleggera Vision brachte Mini das Thema zum ersten Mal seit langem wieder abseits des Rennsports unter. Könnte einen schönen Halo-Effekt für zukünftige Studien geben.

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Zitiert hat der Superleggera zweifelsohne eine anderen (Ex-)Briten, den unfassbaren Jaguar D-Type. Die zweisitzige Rennmaschine holte dreimal den Gesamtsieg in Le Mans (1955, 1956, 1957) und fiel vor allem wegen des markanten, endzweckgerichteten Designs von Jaguar-Faktotum Malcolm Sayer auf. Die monumentale Finne des D-Type brachte in Le Mans vor allem auf der ewig langen Mulsanne Straight Ruhe ins Alu-Kleidchen.

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Bei seiner Konstruktion griff Malcolm Sayer auf seine Erfahrungen im Flugzeugbau zurück - eine Vorlage, die nach dem Ersten Weltkrieg und mit dem Aufkommen der populären Aeroplane auch das Fahrzeugdesign inspirieren sollte. Aerodynamik, darüber war man sich zu ebener Erde im Klaren, war eine Zukunft des Autodesigns. Um den Anspruch zu signalisieren, durften vor allem bei Versuchsträgern die dem Flugzeugleitwerk entlehnten Vertikalspoiler nicht fehlen. Ein legendärer Leitwerker war das Rolls-Royce Aerodynamic Coupé aus dem Jahr 1925, ein Einzelstück.

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Extrem flossig, und zwar in Serie, trieb es die tschechoslowakische Oberklasse namens Tatra 77 (ab 1934). Der monumentale Flügel kaschierte einen darunter verbauten, luftgekühlten V8-Zylinder. Sein Nachfolger, der 87 von 1937 (Bild), ging die aerodynamische Sache ebenfalls sehr ernsthaft an. Mit bis 1950 knapp über 3000 verkauften Einheiten konnte man aber nicht von einem großen Publikumserfolg sprechen.

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Bei General Motors hingegen versuchte man nichts weniger, als den militärischen Flugzeugbau der frühen 1950er auf die Straße zu bringen. Mit dem XP-21, später Firebird I, vermittelte Designer Harley Earl der amerikanischen Jugend, wie Jetfighting auf der Straße aussieht. Die Strahlturbine brachte das Projektil bei einem Test auf 160 km/h, als der Fahrer in den zweiten von zwei Gängen schalten wollte, schoss dem Ding so viel Energie in den Aufbau, dass der Mann den Versuch abbrach. Heckflosse hin oder her.

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Beim Firebird II von 1956 war der Antrieb hingegen nicht mehr das entscheidende Thema. Vielmehr setzte man auf die Erprobung neuer Materialien (Titan), Versprechen für den Alltag (Scheibenbremsen rundum, Einzelradaufhängung) und Selbstfahr-Kompetenz (der Wagen folgte im Asphalt eingelassenen Leitdrähten.)

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Letzteres beherrscht auch der Firebird III aus dem Jahr 1958. Zusätzlich zu Selbstfahr-Kompetenz, Strahltriebwerk, Lenk-Joystick, Tempomat und einem frühen ABS brachte der Versuchsträger allerlei Flügelwerk an den Start.

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Nur um den damaligen Stand in Sachen Beflügelung einmal kurz einzuordnen: Im gleichen Jahr brachte Cadillac den 1959er Eldorado auf den Markt. Dessen doppelt ausgeführte Cinemascope-Tailfins markierten den Höhepunkt einer Entwicklung, die an den Hinterteilen der Straßenkreuzer die schrillsten Blüten trieb.

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Siehe etwa die Buick-Limited-Serie von 1958. Deren Modelle trugen die Flügel mit Pfauenstolz herum. Dass der Aufbau ähnlich unausgewogen wie heute der österreichische Staatshaushalt daherkam - who cares.

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Buick trieb es überhaupt toll. 1959 schaffte man es sogar, die Heckfinnen auch vorn anzuschlagen. Ein ornamentaler Wahnsinn - gilt heute als schön.

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Immer schon schön war hingegen dieses Geschöpf: Der Chrysler Streamline X "Gilda" aus der italienischen Designschmiede Ghia. Verantwortet von Giovanni Savonuzzi nach einer Vorlage von Design-Papst Virgil M. Exner. Selten gingen Jetfighter-Futurismus und Eleganz so geschmeidig zusammen wie in dieser Studie von 1955. Doppelflügel-Exkurs Ende.

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Die Single-Tailfin blieb vor allem Sache von Prototypen und jene des Rennsports. Hier eine Corvette SR-2 "Sebring Racer" aus der 1956er-Saison zu den US-Langstreckenmeisterschaften.

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Apropos lang, apropos schnell: Bodenraketen und damit die "vertical stabilizers" beherrschten naturgemäß das Spezialgebiet Landgeschwindigkeits-Weltrekord. In Erinnerung sind vor allem Geschwüre wie "Green Monster", "Goldenrod", "The Blue Flame" oder der "Thrust 2" (Bild), der 1983 einen neuen Rekord (1047,26 km/h über eine Meile) markierte. Zumindest in dieser Sparte wird uns die Flosse noch länger erhalten bleiben. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 17.6.2014)

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