Giacomo Corneo präferiert das europäische Modell, "welches aber nicht überlebensfähig ist, wenn es nicht modernisiert wird".

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Der Wirtschaftsprofessor Giacomo Corneo plädiert in seinem aktuellen Buch "Bessere Welt " für eine Modernisierung der Sozialen Marktwirtschaft. Jakob Sturn fragte ihn, wie diese ausschauen sollte.

In einem fiktiven Streitgespräch zwischen einer systemkritischen Tochter und ihrem Vater spielt der italienische Ökonom mögliche Alternativen zum Kapitalismus durch und überprüft diese auf ihre Praxistauglichkeit.

STANDARD: Wer hätte die Macht, die in Ihrem Buch beschriebene "Bessere Welt" zu erschaffen?

Corneo: Das müssen wir alle gemeinsam tun. Derzeit zeigt sich in der Politik die Tendenz, sich von den einfachen Menschen immer weiter zu entfernen. Die Bürger sollten mehr politische Macht erhalten: Einerseits sollten sie mehr Informationen über politische Entscheidungsprozesse bekommen, andererseits sollte man mehr auf direkte Demokratie und Bürgerbeteiligungen setzen.

STANDARD: Im Jahr 2050 bin ich circa so alt wie Sie jetzt. Wird die Welt dann gerechter sein?

Corneo: Wir befinden uns auf einem Scheideweg: Wenn es "business as usual" weitergeht, dann laufen wir Gefahr, dass die Welt hässlicher aussehen wird.

STANDARD: Nehmen wir an, ein perfektes und gerechtes Wirtschaftssystem läge auf dem Tisch.

Corneo: Zunächst sollten wir uns nicht einbilden, dass wir jemals ein perfektes Wirtschaftssystem entwerfen können. Das geht gar nicht. Deswegen brauchen wir einen evolutionären Ansatz, bei dem die Gesellschaft von allein allmählich lernt, wie ein optimales Wirtschaftssystem aussieht.

STANDARD: Von wo aus sollte dieser Prozess starten?

Corneo: Da bin ich noch stolz genug, Europäer zu sein, um zu denken, dass Europa dafür prädestiniert ist, diesen Weg zu beschreiten. Trotz der vielen Defizite innerhalb der Gesellschaft und der Politik ist Europa der Kontinent, in dem die Demokratie erfunden und der Sozialstaat entwickelt wurde. Die Vielfalt, über wir hier verfügen, gibt mir die Hoffnung, dass Europa Vorreiter sein könnte.

STANDARD: Hat Europa nicht einen enormen Wettbewerbsnachteil gegenüber dem global herrschenden Kapitalismus?

Corneo: Wir haben tatsächlich seit dem Zweiten Weltkrieg eine Art Systemwettbewerb, vor allem zwischen dem Realsozialismus und dem Kapitalismus. Heute lässt sich sagen: Der Kapitalismus hat gewonnen. Es gibt einerseits eine amerikanische Version von Kapitalismus und ein europäisches Modell. Meine Präferenz geht für das europäische Modell der Sozialen Marktwirtschaft, welches aber nicht überlebensfähig ist, wenn es nicht modernisiert wird. Deswegen schlage ich in diesem Buch Wege vor, wie wir durch eine Modernisierung unsere Soziale Marktwirtschaft so attraktiv gestalten können, dass die Menschen, die ein gutes Leben führen wollen, von weit weg zu uns kommen. (DER STANDARD, 16.6.2014)