Wien - Die Klassentür öffnet sich, ein bärtiger Mann Ende 20 betritt den Raum. Er trägt ein Flanellhemd, Beanie und Sonnenbrille. Sichtlich verkatert torkelt er zum Lehrertisch, fläzt sich auf den Sessel, stellt die Beine am Tisch ab und gähnt. Die Schüler einer Wiener PTS schauen ungläubig.

"Is' der bekifft?

"Is' der bekifft?", tönt es aus einer Ecke. Der Fremdling lässt sich nichts anmerken, rülpst vernehmlich und beginnt mit seiner Geschichte: "Ich bin hier, um euch zu erzählen, wie scheiße das Saufen ist. Schaut nur her, wie kaputt ich bin".

Die Aufmerksamkeit in der Klasse steigt blitzartig von schlaftrunken auf hellwach. "Komasaufen ist keine Erfindung eurer Generation - sorry. Bei uns hieß das noch Kampftrinken!", posaunt der Mann heraus: "Du weißt erst, was Saufen ist, wenn du bei der katholischen Jungschar warst."

Die Lacher sind auf seiner Seite, und schon jetzt merken die 16-Jährigen, dass sie keinem 08/15-Theaterstück zum Thema Komasaufen beiwohnen. Hier wird auf Augenhöhe kommuniziert, authentisch und ziemlich cool.

Sechsköpfiger Theaterverein

Klassenzimmertheater nennt sich der sechsköpfige Theaterverein, der durch Österreichs Schulen tourt und Themen aus dem Alltag der Schüler aufgreift.

Nach dem heiteren Einstieg nimmt das Stück eine tragische Wendung - nämlich als der Protagonist seine erschütternden Jugenderlebnisse schildert: von Fritz, einem alten Schulfreund, der betrunken eine Studentin vergewaltigt und unabsichtlich umgebracht hat. Ein anderer Bekannter stolperte im Suff vom Kirchenturm. Und er selber sei immer wieder am Entzug gescheitert: "Wisst ihr, was ein Cold Turkey ist?" Ausdruckslose Gesichter. "Habt ihr Trainspotting gesehen?"

Viele Schüler halten die Geschichten für zu schrecklich, um wahr zu sein. Falsch: Die Theaterpädagogen Dana und Sabine erklären beim Gruppengespräch, dass alles wahr ist. Das müssen die Schüler erst mal schlucken.

Vor allem die Burschen aus der Klasse haben schon einige Erfahrungen mit Alkohol gesammelt. Die meisten trinken, weil es sie lockermache, die Freunde es auch tun und man bei den Frauen punktet. Dabei finden die Mädchen betrunkene Typen einfach nur "abstoßend", wie sie nachher betonen.

Woran man merke, wann die Grenze erreicht ist? "Wenn es mir gut geht", sagt ein Schüler, der später erzählen wird, dass er einmal betrunken Christbäume auf die Autobahn geworfen hat.

Das Klassenzimmertheater hat die Schüler sichtlich beeindruckt. Der pädagogische Zeigefinger blieb nämlich erspart, zahlreiche Denkanstöße jedoch nicht aus. David Borochov (16), (DER STANDARD, 16.6.2014)