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Der Altbaathist Duri, bei einer Pro-Maliki-Demonstration.

Foto: AP/dapd/Nabil al-Jurani

Von Afghanistan 1996 bis zum Irak 2014, als weiteres Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit Mali 2012: Die erfolgreichen militärischen Eroberungszüge von Jihadisten, die danach Territorium halten und verwalten, sind immer begleitet von lokalen Aufstandsbewegungen mit einer längeren Vorgeschichte. Im entscheidenden Moment tun sich die Gruppen zusammen, und die oft von außen kommenden militärisch erfolgreichen Islamisten haben plötzlich so etwas wie lokale Wurzeln. In Afghanistan waren die Taliban eine paschtunische Bewegung, in Nordmali wäre es nicht ohne Radikalisierung von Teilen der Tuareg gegangen.

Im Fall der Isis (Islamischer Staat in Irak und Großsyrien) mit ihrer transnationalen Agenda, die ihr Zulauf von Jihadisten aus unterschiedlichsten Ländern verschafft, steht eine lokale irakische Figur an der Spitze, was unzweifelhaft zu ihrer jetzigen Stärke beigetragen hat. Abu Bakr al-Baghdadi (der Aliasname von Ibrahim Awad al-Badri) kommt aus einer angesehenen Familie eines Stammes bei Samarra und ist bestens vernetzt.

Die Entfremdung

Die Geschichte der Entfremdung der irakischen Sunniten beginnt 2003 nach der US-Invasion: Die US-Politik sieht in den Sunniten pauschal die Täter - Saddam Hussein war ein Stammessunnit aus Tikrit - und in den Schiiten nur die Opfer. Große Teile der sunnitischen Gemeinschaft bleiben außerhalb des politischen Prozesses, nach und nach schließen sie sich dem Aufstand an - und kooperieren schon damals mit der Vorgängerorganisation der Isis, Al-Kaida im Irak. 2007 wenden sich sunnitische Stämme von der kulturfremden Kaida, deren Programm sie ja eigentlich nicht teilen, ab. Die USA nützen die Chance und finanzieren die neuen Sunnitenmilizen - und ringen Ministerpräsident Nuri al-Maliki das Versprechen ab, sie später in die irakischen Sicherheitskräfte zu integrieren.

Die verpasste Chance

Genau das passiert dann nicht: Maliki will nicht zu viele Sunniten in Armee und Polizei. Und er hält sich auch nicht an seinen Regierungspakt mit Ayad Allawi von 2010, der den sunnitischen Sektor vertritt (auch wenn er selbst ein Säkularer aus schiitischer Familie ist). Ab 2012 wird das Verhältnis Malikis zu den Sunniten immer schlechter, Proteste sind für ihn pauschal Al-Kaida-initiiert. Als die Isis 2013 in Teilen der Provinzs Anbar einzieht, und Anfang 2014 in Falluja, trifft sie dort auf andere islamistische Gruppen und eine Bevölkerung, die - oder Teile davon - es ablehnt, von der irakischen Armee befreit zu werden. Da sind ihr sogar die radikalen Sunniten lieber. Und dann gewinnt Maliki auch noch die Wahlen: Das heißt, für die Sunniten wird sich nichts ändern, wenn sie nichts unternehmen. Die Isis bietet eine Chance.

Und alte Bekannte tauchen wieder auf. Die Isis-Invasion in mehreren Provinzen wurde auch von der "Armee der Männer des Naqshbandi-Ordens" mitgetragen (JRTN nach dem arabischen Akronym). Die JRTN, die sich auf einen Sufi (islamischen Mysteriker) des 14. Jahrhundert beruft - was sich ja mit Militanz - eigentlich nicht verträgt, ist die Symbiose der Baath-Partei mit dem Islam(ismus). Auf die JRTN bezog sich die Tochter Saddam Husseins, Raghad, als sie von den "Siegen der Männer meines Vaters" sprach.

Ob er wirklich der Führer der JRTN ist, ist unbekannt, aber die Integrationsfigur schlechthin für die islamischen Baathisten ist Izzat Ibrahim al-Duri, Saddams Vizepräsident und Zweiter im Revolutionskommandorat (als Politiker in Wahrheit völlig unbedeutend). Duri ist, wenn er noch lebt - und es gibt immer wieder Botschaften aus dem Untergrund -, knapp 74, er ist der einzige ranghohe Baathist, der nach 2003 nicht gefasst wurde. Der einfache rothaarige Mann, der in den 1990ern zur medizinischen Behandlung in Wien war, ist sehr religiös (er hatte, für einen Baathisten ungewöhnlich, auch vier Ehefrauen). Er war damit der ideale Mann, um nach 2003 die Komponenten des sunnitischen Aufstands gegen die Amerikaner und gegen die neue Ordnung im Irak zusammenzubringen: Baathisten, Islamisten, Stämme.

Dass die lokalen irakischen Sunniten und ihre Organisationen aus arabischen sunnitischen Staaten unterstützt wurden, daran ist kein Zweifel. Das bringt den paranoiden Maliki dazu, die jetzigen Geschehnisse als reines Komplott von außen abzutun. Aber die Isis ist ganz gewiss keine Verbündeter arabischer Regime, etwa dem saudischen. Die stehen nämlich auch alle auf ihrer Liste. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 16.6.2014)