Verkehrspsychologin Alexandra Bärike: "Wieder allein fahren zu können ist oft ein Schlüsselerlebnis und gibt ein Freiheitsgefühl."

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STANDARD: Wer sucht Ihre Hilfe?

Bärike: Einerseits Vielfahrer, etwa Außendienstmitarbeiter, die irgendwann vor lauter Stress auf der Autobahn Panikattacken bekommen. Andererseits Wiedereinsteiger. Meistens sind das Frauen, die einmal ein unangenehmes Erlebnis hatten und dann mit dem Autofahren aufgehört haben.

STANDARD: Warum sind das meistens Frauen?

Bärike: Sie neigen mehr zu Ängsten, haben oft ein größeres Verantwortungsbewusstsein und nehmen sich Kritik mehr zu Herzen. Die Wiedereinsteiger haben alle irgendwann starke Kritik erfahren - etwa durch den Fahrlehrer oder den Freund. Manche sind auch sehr selbstkritisch.

STANDARD: Es gibt ja auch hauptsächlich Autofahrerinnenwitze.

Bärike: Stimmt. Frauen gehen mit einer anderen Erwartungshaltung an das Fahren heran - denken, sie müssen es besonders gut machen, dürfen sich keine Fehler leisten.

STANDARD: Wie äußert sich die Fahrangst?

Bärike: Es stehen körperliche oder gedankliche Symptome im Vordergrund. Es gibt Leute, deren Gedanken nach dem Aufwachen stundenlang um das Autofahren kreisen. Sie haben Horrorvorstellungen von Unfällen und Situationen, die sie überfordern.

Bei anderen stehen körperliche Symptome im Vordergrund: Schwitzen, Zittern, Engegefühle in der Brust. Bei Vielfahrern mit Panikattacken schaukeln sich ganz massive körperliche Symptome immer weiter hoch. Viele gehen nach der ersten Panikattacke ins Krankenhaus, weil sie gar nicht wissen, was los ist.

STANDARD: Wie oft ist ein Unfall der Auslöser von Fahrangst?

Bärike: Meine Patienten hatten größtenteils keine schweren Unfälle. "Normale" Verkehrsunfälle wie Auffahrunfälle gehören fast zum Autofahrerleben dazu. Das hinterlässt bei den Menschen aber keine so starken Spuren.

STANDARD: Wann braucht man Hilfe?

Bärike: Wenn die Praxis fehlt, sollte man zum Auffrischen in eine Fahrschule gehen. Die Basics müssen sitzen, weil sonst eine wirkliche Unfallgefahr besteht. Aber auch, wenn es mit der Angst nicht besser wird, wenn man beispielsweise mit dem Partner am Sonntagmorgen in eine ruhige Gegend fährt. Normalerweise beruhigt man sich nämlich, wenn das Setting stimmt.

STANDARD: Wie läuft Ihre Therapie ab?

Bärike: Wir schauen uns an, was die Ursachen für die Fahrangst sind. Die findet man sehr schnell. Dann stellen wir einen Plan auf: Was traut sich die Person zu, was möchte sie gerne in meiner Begleitung tun? Wir fangen mit dem Fahrschulwagen an und beobachten, welche Gedanken und Symptome auftreten. Wenn das klappt, wechseln wir zum eigenen Fahrzeug. Wenn der Betroffene sich bereit fühlt, folgt eine Alleinfahrt. Wieder allein fahren zu können ist oft ein Schlüsselerlebnis und gibt ein Freiheitsgefühl.

STANDARD: Wie lange dauert die Therapie?

Bärike: Zwischen zwei Stunden und zwei Jahren. Für alle gilt: Wir erarbeiten Methoden, die die Betroffene entspannen. Denn Autofahren muss kein Stress sein, und Selbstzweifel müssen nicht immer mitfahren.

STANDARD: Was können Fahrschulen machen?

Bärike: Präventiv auf Fahrschülerinnen eingehen und sie bestärken. Vielen wird schon in der Fahrschule das Selbstvertrauen genommen.

Wenn der Fahrlehrer nur auf Fehler fokussiert, besteht jemand zwar am Ende vielleicht die Führerscheinprüfung, ist aber trotzdem überzeugt: Ich bin zu blöd zum Autofahren. Fahrschulen müssen weggehen von der reinen Technikvermittlung und schauen, was man mental für das Autofahren braucht. Im Straßenverkehr ist auch eine gute Portion Selbstsicherheit und Entschlossenheit nötig. Wer nämlich nicht mit hupenden Autofahrern umgehen kann, wird zu ihrem Spielball. (Franziska Zoidl, DER STANDARD, 13.6.2014)