Bild nicht mehr verfügbar.

Wayne Rooney kennt die Geschichten von den ersten ballesterischen Watschentänzen nur vom Hörensagen. Aber er kennt sie.

Foto: EPA/ANDY RAIN

Rio de Janeiro - Man braucht wahrlich nicht so zu tun, als wären die eskapistischen Schrullen eines, sagen wir David Cameron, eine neumodische Angelegenheit. England war immer so: sehr aufs Köcheln im eigenen Saft bedacht. Wobei der Wahrheit halber dazugesagt werden muss, dass in diesem eigenen Saft Ingredienzien aus, wenn schon nicht der ganzen Welt schwimmen, so doch aus dem unermesslichen Teil, der sich British Commonwealth nennt. Der Schluss, nicht nur Puritanismus, Demokratie, Schundpresse, sondern auch insgesamt das Rad und so weiter erfunden zu haben, lag also seit jeher nahe.

Im Fußball, den die Engländer ja auch erfunden haben, ganz besonders, weshalb die Isolation diesbezüglich ganz besonders splendid war. Höchstens Schottland, Wales, Irland, nach der Teilung der Insel Nordirland nahm man war. Sonst: höchstens Entwicklungsgebiet. An einer Weltmeisterschaft nahm England überhaupt erst 1950 teil. In Brasilien. Die Männer, die da nach 30-stündiger Anreise aus dem Flieger stiegen, sahen nicht nur die brasilianischen Zeitungen respektvoll als "Reis de futebol", Könige des Fußballs.

Das sahen diese selbst auch so oder quasi noch soer. Entsprechend würdevoll - heute würde man sagen: blasiert - traten sie dann auch an. Und blamierten sich bis auf die Knochen.

Wenn die Three Lions am Samstag gegen Italien zum zweiten Mal in eine WM in Brasilien starten, spielt das 0:1 vom 29. Juni 1950 gegen den krassen Außenseiter USA wohl auch wieder ein bisschen mit. Teammanager Roy Hodgson könne, sagt er, "nur hoffen, dass es diesmal nicht so peinlich wird". Um hoffnungsfroh hinzuzufügen: "Egal, wie es ausgeht: So eine Katastrophe kann es nicht wieder geben."

Haiti trifft für USA

Mit nur einem Sieg über Chile verabschiedeten sich die Könige schon nach der Vorrunde. Und das gegen die Rebellen. Durch ein Tor des gebürtigen Haitianers Joe Gaetjens siegten die USA 1:0. Und dämpften eine ganze Nation aufs Feeling nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1782.

Der Einzige, dem schon vor der Abreise nach Übersee Übles schwante, war Trainer Walter Winterbottom. "Es wird sehr viel von uns erwartet", so sagte Winterbottom der Überlieferung zufolge zu seiner Mutter Fanny Winterbottom, "aber sei nicht zu hoffnungsvoll, dass wir den Pokal mit nach Hause bringen werden."

Weil: Stanley Matthews - später "Sir" - war zu Werbezwecken nach Kanada geschickt worden. Und solch ein - an Österreich 1934 gemahnender Unsinn - war erst der Anfang. Bei der Landung stürmten drei Männer in Gasmasken das Flugzeug der Engländer und besprühten die Besatzung mit Pestiziden. Im Hotel Luxor an der Copacabana war das Essen so schlecht, dass Torhüter Bert Williams zwischenzeitlich selbst kochte. Matthews: "Wir haben fast nur Bananen gegessen." Mag sein, Williams Kochkunst wegen.

Beim ersten Spiel gegen Chile schlichen im unfertigen Maracanã Ratten durch die Kabine, England aber gewann 2:0. Kapitän Billy Wright, Tom Finney, Stan Mortensen, Alf Ramsey, dazu Matthews - es war die "goldenste Generation" der englischen Fußball-Geschichte. Jene "goldenste Generation", die drei Jahre später daheim von der goldenen Mannschaft Ungarns mit 3:6 in die Wirklichkeit gewatscht worden ist.

In der Schmach von Belo Horizonte gab der US-Haitianer mit deutschem Vater nur einen Vorgeschmack. Matthews war mittlerweile angereist, wurde aber geschont. "Als der Abpfiff ertönte, habe ich dem Schicksal gedankt, dass ich nicht dabei war." Erst die Ungarn zogen den Engländern den Kopf aus dem Sand. (sid, wei, DER STANDARD, 13.6.2014)