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Präsident mit Friedenstäubchen: Juan Manuel Santos.

Foto: APA/EPA/Noriega

Bogotá/Puebla - Vor der Stichwahl am Sonntag hat Juan Manuel Santos alle Trümpfe ausgepackt: Von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bekam der kolumbianische Präsident Rückendeckung für seinen Friedensprozess, die Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) verhängte nicht nur eine Waffenruhe, sondern erkannte im Rahmen der Friedensgespräche zum allerersten Mal im 50-jährigen Bürgerkrieg die von ihr verursachten Opfer an. Und am Dienstag verkündete auch noch die kleinere Guerilla ELN die Aufnahme von Gesprächen mit Santos.

Ob das reicht? Umfragen zufolge wird es knapp. Viel wird davon abhängen, ob diesmal mehr Kolumbianer an die Urnen gehen als vor rund drei Wochen. In der ersten Runde, in der Óscar Iván Zuluaga mit 460.000 Stimmen Differenz vorne lag, waren fast 60 Prozent der Wahl ferngeblieben.

Und das, obwohl es laut Santos um "Krieg oder Frieden" geht. Es geht aber auch um einen persönlichen Grabenkampf zweier Egos einer privilegierten Kaste: Zuluaga gilt als Strohmann des ultrarechten Expräsidenten Álvaro Uribe (2002-2010), der seit Beginn des Friedensprozesses versucht, diesen zu sabotieren. Uribes Vater wurde von den Farc ermordet; seither hat der Großgrundbesitzer eine persönliche Rechnung offen.

Dass Santos Friedensgespräche aufnahm, wertete Uribe als Verrat. Uribe war mit seiner Politik der harten Hand einer der populärsten Präsidenten des Landes. Als er 2010 nicht wieder antreten konnte, schlug er seinen Verteidigungsminister Santos vor.

Santos, der einer der reichsten Familien des Landes entstammt, schlug einen Modernisierungskurs ein. Die Wirtschaft wuchs 2013 um fünf Prozent, der Anteil der Armen hat sich von 37 auf 30 Prozent reduziert. Doch der Krieg mit der Guerilla behinderte die Entwicklung des Landesinnern, wo nicht nur fruchtbare Erde ruht, sondern auch Edelmetalle und Öl. Santos setzte Friedensgespräche an die Spitze seiner Agenda.

Doch der erste Popularitätseffekt verpuffte schnell. Viele Kolumbianer halten eine Bildungs- und Gesundheitsreform für wichtiger; andere fürchten, dass die Farc - wie schon bei den 2001 gescheiterten Verhandlungen - nur taktieren und nicht wirklich an einem Abkommen interessiert sind. Bei ihnen fällt die Kritik Uribes auf fruchtbaren Boden.

Auch viele Unternehmer aus dem Sicherheitssektor und die Militärs, die von dem anhaltenden Konflikt profitieren, neigen zu Uribe. Santos hatte außerdem keine glückliche Hand mit sozialen Protesten wie jenen der Bauern, die er erst arrogant abkanzelte, bevor er sich zu Zugeständnissen durchrang. Trotzdem sprachen sich jetzt 140 Gewerkschaftsführer für ihn aus. Ihr Argument: Die Friedensdividende wird soziale Fortschritte ermöglichen.

Tiefe Polarisierung im Land

Auch für Uribe steht nicht alles zum Besten. Die Schmutzkampagne, in der er Santos' Friedensteam ausspionieren ließ und ihm den haltlosen Vorwurf machte, Drogengelder angenommen zu haben, warf ein schales Licht auf ihn.

Und jetzt gab es auch erste Risse zwischen ihm und seinem neuen Kronprinzen. Seit Zuluaga mit der unterlegenen konservativen Kandidatin Marta Lucía Ramírez paktierte, hat er seine Rhetorik gemäßigt und verspricht, die Friedensgespräche fortzusetzen. Egal wie der Wahlkrimi ausgeht, der Sieger hat keine einfache Aufgabe: Er wird mit einem gespalteten Kongress ein polarisiertes Land regieren müssen, das eine der größten sozialen Breschen des Kontinents aufweist. (Sandra Weiss, DER STANDARD, 12.6.2014)