Hinan zum ewigen Licht: Mozarts / Richard van Schoors "Requiem" mit Bassist Tomás Král (oben), darunter von links: Daniel Johannsen (Tenor), Valer Sabadus (Sopran) und Terry Wey (Alt), gefolgt vom Tölzer Knabenchor.

Foto: H. Krueckeberg

Die Galerie des Schlosses Herrenhausen in Hannover war früher einmal zur Unterbringung empfindlicher Kübelpflanzen gedacht. Die baumhohen, oft exotischen Sträucher, die zur Verschönerung der welfischen Sommerresidenz dienten, mussten winters unters Dach. Und was für eines: Eine 14 Kilometer lange Bandstuckatur zieht sich in schwindelig machenden Bahnen über die Decke. Auch sonst wurde den Pflanzen im Prunksaal nie fad: Trompe-l'oeil-Malereien mit Szenen aus Vergils Aeneis halfen, die finstere Jahreszeit zu verkürzen.

Noch heute säumt historisch bedeutsames Gewächs den Zugangsweg zur Anlage (das im Krieg zerstörte Schloss wurde erst kürzlich neu erbaut). Darunter die älteste verzeichnete Kübelpflanze der Welt, ein Granatapfelbaum, der bereits 1653 (!) von Venedig nach Herrenhausen übersiedelte, und heute gleich beim Eingang den Besuchern das Geleit gibt. Die Schönheit (aber auch Domestizierbarkeit) der Natur ist in Herrenhausen das große Thema. Die sich vom Schloss in die Stadt Hannover hinein erstreckenden Herrenhäuser Gärten beheimaten schließlich einen der bedeutendsten Barockgärten Europas. In den Händen von knapp 90 Gartenbediensteten liegt das Wohl des verzaubernden Grüns.

Die Natur sollte inspirieren, dem Kopf einen Frei- und Denkraum verschaffen. So sah es zumindest Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1717), der Universalgelehrte, Vordenker der Aufklärung und Namensgeber der berühmten Butterkekse. Er stand im Dienst der Welfen und war fest davon überzeugt, dass dem Staunen und Wundern eine produktive Kraft innewohnt. Wissenschaft, Natur und Kunst gingen hierbei stets eine Verbindung ein. "Freude an der Erkenntnis" war sein oberstes Credo. Diesem Gedanken sind die Kunstfestspiele Herrenhausen auf der Spur. Sie finden seit fünf Jahren unter der Leitung von Elisabeth Schweeger statt.

Und weil die Kübelpflanzen derzeit Ausgang haben, war zur Eröffnung am Wochenende in der Galerie Platz genug für eine personalintensive Musiktheaterproduktion. In dem 12 mal 66 Meter großen Prunksaal fand die Uraufführung von Requiem statt, einer mit Mozarts gleichnamigem, unvollendetem Werk interagierenden Neukomposition von Richard van Schoor. Ein Autowrack, das dabei als Requisit dient, wirkte in diesem Ambiente mickrig klein.

Der Tölzer Knabenchor sang inmitten des mobilen Publikums herzzerreißend schön, er nahm - bei van Schoors Partien - auch Plastiksackerln zu Hilfe, um Regengeräusche zu simulieren, oder erzeugte mit Hauchatmung eine unsichere Stimmung. Michael Hofstetter dirigierte das Philharmonische Orchester Gießen.

Bis Anfang Juli (und auch von 19. bis 28. September) haben die Kunstfestspiele geöffnet. Wer die Winterreise mit Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser bei den diesjährigen Wiener Festwochen versäumen wird (mit Animationsfilmen William Kentridges), hat am 19. September in Hannover Gelegenheit, sie zu sehen. Oder: Noch Ende Juni untersucht Komponist Wolfgang Mitterer in Labyrinth 14/3 den Klang eines 700-köpfigen Chores im Gartentheater.

Vor 300 Jahren stellten die Hannoveraner die englischen Könige: Dem widmet sich eine Ausstellung im Schloss. Und die dazugehörigen Karikaturen zeigt das Wilhelm-Busch-Museum. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 12.6.2014)