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Die Pressagenturen liefern kaum Bilder aus Mossul. Diese Aufnahme aus der umkämpften Stadt entstand am 9. Juni ...

Foto: AP/Iraqi Military via AP video

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... und diese am 10.

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Zivilisten fliehen aus Mossul. Dieser Iraker und seine Tochter fanden Zuflucht in der kurdischen Stadt Erbil.

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Die von den USA um 14 Milliarden Dollar aufgebaute irakische Armee droht an ihrer ersten großen Aufgabe seit dem Abzug der ausländischen Truppen zu scheitern.

Islamistische Rebellen sind im Norden des Landes auf dem Vormarsch und bringen immer mehr Gebiete unter ihre Kontrolle. Nachdem die sunnitischen Kämpfer mit Mossul die zweitgrößte Stadt erobert hatten, rückten sie am Mittwoch auf die wichtigste Ölraffinerie des Landes in Baiji vor. Die Rebellen nahmen Teile von Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit und näherten sich damit weiter der Hauptstadt Bagdad.

NATO-Sitzung

Die NATO hat unter dem Eindruck der Offensive eine Dringlichkeitssitzung abgehalten. Die Türkei habe das Treffen beantragt, bestätigte ein Vertreter des Bündnisses am Mittwoch in Brüssel zuvor bereits kursierende Informationen. Die Regierung in Ankara habe die Verbündeten über die Lage im Nachbarland informiert, jedoch nicht um Hilfe im Rahmen der Allianz gebeten.

Die USA sagten der Regierung in Bagdad "jede angemessene Hilfe" zu, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums erklärte, man sei über die sich verschlechternde Sicherheitslage im Irak sehr besorgt.

Gefechte bei Samarra

Am Mittwoch lieferten sich sunnitische Islamisten nach Polizeiangaben auch am nördlichen Zugang der Stadt Samarra schwere Gefechte mit irakischen Sicherheitskräften. Augenzeugen zufolge setzten die Aufständischen Lastwagen ein, auf denen Maschinengewehre montiert waren.

In Samarra, das 110 Kilometer von Bagdad entfernt liegt, befindet sich ein von schiitischen Muslimen verehrter Schrein. Dieser war im Jahr 2006 bei Bombenangriffen beschädigt worden, was wiederum einen religiös motivierten Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten zur Folge hatte, der das Land in eine Gewaltspirale stürzte und zehntausende Menschen das Leben kostete.

Konsulat gestürmt

Das türkische Konsulat in Mossul wurde am Mittwoch eingenommen, die Angreifer nahmen 48 Mitarbeiter als Geiseln.

Unter den Geiseln befindet sich nach übereinstimmenden Angaben der türkische Konsul. Auch mehrere Angehörige türkischer Spezialeinheiten sowie drei Kinder sollen in der Gewalt der Terroristen sein. Die Geiseln wurden aus dem Konsulatsgebäude in einen Stützpunkt der Jihadisten gebracht.

Nach Angaben der türkischen Behörden sind alle unversehrt. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan berief umgehend eine Krisensitzung ein.

Der Großteil Mossuls war am Mittwoch unter Kontrolle der Auständischen. Laut Augenzeugen patrouillierten Kämpfer durch die Straßen der Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt und forderten Behördenmitarbeiter über Lautsprecher auf, die Arbeit wieder aufzunehmen.

Wachleute zogen kampflos ab

In Baiji zogen laut Angaben aus irakischen Sicherheitskreisen 250 Wachleute, die dort eine Raffinerie bewachen sollten, kampflos ab, nachdem ihnen die Aufständischen freies Geleit zugesichert hatten.

Ein Arbeiter sagte, die Frühschicht habe nicht ihre Arbeit beginnen dürfen. Stattdessen sei noch immer die Nachtschicht im Dienst.

Die Raffinerie verarbeitet 300.000 Barrel Erdöl am Tag und versorgt die meisten Provinzen des Landes, das Elektrizitätswerk auf dem Gelände versorgt die Hauptstadt Bagdad.

Gericht angezündet

"Aufständische sind über Nacht aufmarschiert und haben das Gerichtsgebäude sowie eine Polizeiwache im Stadtzentrum in Brand gesteckt", berichtete ein Sicherheitsvertreter aus Baiji dem unabhängigen Fernsehsender Al-Sumaria News.

Ein Anwohner berichtete, die Kämpfer hätten ihren Vorstoß bei den wichtigsten Stammesfürsten der Stadt angekündigt. "Sie haben gesagt: 'Wir kommen nach Baiji, um die Kontrolle zu gewinnen oder um zu sterben. Also raten wir euch, sagt Euren Söhnen in der Polizei und der Armee, sie sollen ihre Waffen niederlegen und abziehen."'

Am Mittwoch begannen Kämpfer der Gruppe "Islamischer Staat im Irak und Syrien" (ISIS), Gräben an der irakisch-syrischen Grenze zuzuschütten.

Laut offiziellen Angaben ermordeten die Kämpfer am Mittwoch 15 Angehörige der Sicherheitskräfte. Ein Polizeioffizier und Mitarbeiter der örtlichen Behörden gaben bekannt, dass in Rijad sechs, in Rashad vier und am Kontrollposten Talkiyah fünf Sicherheitskräfte getötet wurden.

300 Verluste am Tag

Viele irakische Soldaten haben sich angesichts der Offensive der Rebellen entschlossen, ihre Waffen niederzulegen. Die "New York Times" berichtete, dass in der irakischen Armee bereits vor der Einnahme Mossuls jeden Tag bis zu 300 Soldaten desertierten, getötet oder verletzt wurden.

Luftwaffe bombardiert Armeebasen

Angesichts des Vormarsches der Rebellen bleibt der Armee nichts übrig, als ihre eigenen überrannten Stützpunkte zu bombardieren, um zu verhindern, dass dort gelagertes Kriegsmaterial in die Hände der Aufständischen gerät.

Trotzdem erbeuteten die Milizen große Mengen Waffen und Munition. Der Sprecher des irakischen Parlaments verkündete am Dienstag, ISIS-Mitglieder hätten auf dem Flughafen von Mossul mehrere Hubschrauber erbeutet.

Die irakische Luftwaffe verfügt über russische Mi-Kampfhubschrauber, die im Jänner vom US-Kongress bewilligten Apache-Helikopter wurden noch nicht ausgeliefert.

Im Schutz der Dunkelheit brachten ISIS-Kämpfer erbeutete Militärfahrzeuge nach Syrien.

Premierminister Nuri al-Maliki sprach sich am Mittwoch dafür aus, Offiziere, die ihre Posten verlassen, vor ein Kriegsgericht zu stellen.

Kurden sollen Regierungstruppen helfen

Die irakische Führung will nun zusammen mit der kurdischen Regionalregierung die islamistischen Rebellen aus Mossul vertreiben. "Es wird eine engere Zusammenarbeit zwischen Bagdad und der Regionalregierung in Kurdistan geben, um gemeinsam die ausländischen Kämpfer zu verjagen", sagte der irakische Außenminister Hoshyar Zebari am Mittwoch. Sie seien eine "ernste und tödliche" Bedrohung für das Land.

Die kurdische Regionalregierung könnte ihre Peschmerga-Truppen gegen die Isil-Kämpfer in Mossul einsetzen. Doch ein Peschmerga-Sprecher sagte am Mittwoch, dafür sei eine formelle Anfrage des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki nötig, und die gebe es nicht.

Kurdische Peschmerga-Milizen kontrollieren mit Einverständnis der irakischen Zentralregierung die Region Rabia an der syrischen Grenze und haben die Militärbasis Kusk, 45 Kilometer westlich von Mossul, übernommen.

General: Problem gelöst

Generalleutnant Rashid Fleih, der die Militäroperation in der westirakischen Provinz Anbar kommandiert, führt die Desertionen auf die schlechte Sicherheitslage zurück, die es Soldaten verunmögliche, nach einem Urlaub in die Gefechtszone zurückzukehren.

Da es aber nun gelungen sei, mehrere wichtige Straßen unter Kontrolle zu bekommen, sei das Problem so gut wie gelöst, erklärte er vor einer Woche gegenüber der "New York Times": "Jetzt können Soldaten, die frei hatten, wieder ohne Probleme zu ihren Einheiten gelangen."

Anschläge

Bei Bombenanschlägen auf Schiiten sind im Irak am Mittwoch mindestens 37 Menschen getötet worden. Der schwerste Anschlag ereignete sich im Nordosten der Hauptstadt Bagdad, als ein Selbstmordattentäter bei einer Versammlung schiitischer Stammesführer 15 Menschen mit in den Tod riss und 34 weitere verletzte, wie die Polizei mitteilte.

Bei der Explosion einer Autobombe im Norden von Bagdad wurden zudem 13 Menschen getötet und 24 weitere verletzt. Weitere Bombenanschläge wurden aus den südlichen Provinzen Basra und Kerbala gemeldet.

Halbe Million Menschen geflohen

Nach Angaben internationaler Helfer sind rund 500.000 Menschen vor den Angriffen auf Mossul geflohen. Sie hätten ihre Häuser aus Angst vor gewalttätigen Übergriffen verlassen, berichtete die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Mittwoch.

Es gebe eine "bedeutende Zahl an Opfern unter den Zivilisten", erklärte die IOM. Die vier großen Krankenhäuser der Stadt seien unerreichbar, weil sie in der Kampfzone lägen. Mehrere Moscheen seien zu Lazaretten umfunktioniert worden, um die Verletzten zu versorgen.

Im Mai kamen bei Kämpfen im Irak fast 800 Menschen ums Leben. (red/APA, derStandard.at, 11.6.2014)