Der Aufwand ist enorm, das Setting glamourös: Statt in der Welt des Lifestyle möchte David LaChapelle mit seinen Fotos mittlerweile in der Kunstwelt punkten. Hier sein "Selbstporträt als Haus".

Foto: LaChapelle/Ostlicht

Mit seinem Life-Ball-Plakat erregte er die Gemüter: David LaChapelle.

Foto: Ostlicht

Er ist der Mann der falschen Brüste. Der muskulösen Körper und der auftoupierten Haare. Hält David LaChapelle irgendwo seine Kamera drauf, dann wird die Welt in ein leuchtendes Pink getaucht. Es ist das Pink von Barbie und von knappen Tanktops. Ein Pink, das keine Fragen offenlässt.

Jetzt sitzt David LaChapelle in der Fotogalerie Ostlicht im zehnten Wiener Gemeindebezirk und erzählt von seinem Leben im Dienste der Schönheit. Die vergangenen Tage hat er in einem Rausch aus Life Ball, Partys und Pressekonferenzen verbracht, und noch immer ist er ziemlich aufgekratzt. "I love beauty", sagt der Mann und zieht das Wort dabei so in die Länge, wie das nur Amerikaner können.

Wünsche und Sehnsüchte

Andere zeigen die Kehrseite der schönen Dinge, David LaChapelle ihre Plastikseite. Damit hat er in den vergangenen dreißig Jahren eine Karriere hingelegt wie wenige sonst in der internationalen Fotografenzunft. Kaum ein Promi, der noch nicht vor seiner Kamera stand: Britney Spears fotografierte er als moderne Lolita, Naomi Campbell als Venus oder den nackten Eminem mit einer Dynamitstange über seinem Gemächt. Die buntesten Seiten in den eh bereits sehr bunten Magazinen waren in den Neunzigern die seinen. "Ich lebte meinen Traum", sagt er heute und erzählt dann von den Wünschen und Sehnsüchten des jungen Buben in Connecticut, der von seinen Mitschülern aufgezogen wurde. Schwuler, schrien sie ihm nach: Faggot.

Die Wünsche und Sehnsüchte, sie sind alle wahr geworden. Und noch viele mehr, von denen er gar nicht wusste, dass er sie hatte. Die Partys im Studio 54. Die Ratschläge von Andy Warhol. Die Freundschaft mit Keith Haring und Jean-Michel Basquiat. Die Männer und die Drogen. Der Sex und der große Ruhm. "Die frühen Achtziger waren die besten Jahre und gleichzeitig die furchtbarsten." In jenen Jahren liegen die Anfänge der Karriere von David LaChapelle.

Will man sie verstehen, dann muss man zurückgehen in das wilde, raue New York jener Jahre, als Kunst noch Kunst und Glamour Glamour war. Das eine hatte wenig mit dem anderen zu tun, und wagte es einmal jemand, die Grenzen zwischen High und Low zu überschreiten, so wie es etwa Robert Mapplethorpe tat, dann bekam er mit Sicherheit von seinem Galeristen eins auf den Deckel.

Aids im East Village

Auch LaChapelle fotografierte schwarzweiß, hängte seine Bilder in Galerien und wunderte sich, dass sie niemand haben wollte. Um die Miete zu bezahlen, arbeitete er als Callboy oder fotografierte Hochzeiten, zum Beispiel jene von Vera Wang. Aids hatte die Künstlerszene im East Village fest im Griff, LaChapelles Freund starb mit 24, er selbst war damals 21. "Ich dachte, ich würde sowieso sterben." Testen ließ er sich erst Anfang der Neunziger, in einer Zeit, als Grunge die Bilderwelten in den Lifestyle-Magazinen eroberte.

Als LaChapelle draufkam, dass er weiterleben würde, explodieren auf seinen Fotos plötzlich die Farben. Der Siegeszug des Glamour-Fotografen nahm seinen Lauf. Die Kunst ließ er zurück. Sie vertrug sich auch nicht mit dem Leben, das LaChapelle in den folgenden eineinhalb Jahrzehnten führte und zum Stammfotografen aller Gutgelaunten und Zurechtoperierten machte. "Ich wollte, dass sich die Leute die Augen reiben, wenn sie meine Bilder sehen."

Populär waren damals Fotografen wie Bruce Weber, Ellen von Unwerth oder Herb Ritts. In den Magazinen dominierten eingefallene Wangen und hängende Mundwinkel. Das, was LaChapelle machte, war das Gegenteil. Hyperglam hieß das Etikett, das man auf seine Bilder klebte, die wahlweise Begeisterungsstürme oder Magenkrämpfe auslösten. Das ist ein bisschen bis heute so, auch wenn sich der Fotograf schon Mitte der Nullerjahre aus der Welt der Mode und der Stars zurückgezogen hat.

Zerzauste Models

Kurz bevor Hurrikan Katrina New Orleans verwüstete, fotografierte er für die italienische "Vogue" zerzauste Models mit Sandsäcken. Die Wogen gingen hoch. Dann machte ihm auch noch Madonna das Leben schwer, deren Vorstellungen beim Dreh eines Musikvideos nicht jene von LaChapelle waren. "Meine Zeit war vorbei. Soll doch derjenige die nächste Britney Spears fotografieren, der noch ein Glitzern in den Augen hat."

LaChapelle warf den Krempel hin. Er zog sich auf seine Farm in Maui (ein ehemaliges Nudistencamp) zurück, stellte sein Telefon ab und machte es erst wieder an, als er wusste, wohin die Reise gehen würde: zurück zu seinen Anfängen, zurück zur Kunst. "Wenn man 20 ist, dann ist man anders drauf als mit 40", sagt LaChapelle. Der Wahrheit zuliebe muss man anfügen, dass der Mann 51 ist.

In der Galerie Ostlicht hat einen Tag zuvor seine jüngste Fotoausstellung eröffnet. Eine Kunstausstellung, würde er selbst sagen. Eine, die knallbunt ist - und in der Plastik und Silikon die Hauptrollen spielen. Sammler blättern für seine Bilder grell erleuchteter Raffinerien oder Tankstellen vier- und auch fünfstellige Summen hin. Das Foto des Transgender-Models Carmen Carrera, das im Vorfeld des Life Ball so viel Erregung produzierte, wechselte für 180.000 Euro den Besitzer.

Skandal ohne Skandal

"Ich habe bis heute nicht verstanden, worin der Skandal dieses Bildes liegt. Es drückt für mich pure Schönheit aus." LaChapelle, der Glamourfotograf, unterscheidet sich nur unwesentlich von LaChapelle, dem Künstler. Das Etikett, das auf seinen Bildern klebt, mag mittlerweile ein anderes und die Inhalte mögen im besten Falle kontroversiell sein: LaChapelles Ästhetik aber ist dieselbe geblieben. Die Raffinerien bestehen aus Versatzstücken der Konsumwelt, seine hyperrealen Körper glänzen noch immer makellos. "Die Welt ist dunkel", sagt er, "sollen doch andere noch mehr Dunkelheit in sie bringen. Ich mache das sicher nicht". (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 13.6.2014)