Marine Le Pen hat Großes vor. Dank ihres Erfolgs bei den Gemeinde- und den Europawahlen, bei denen sie den Front National (FN) zur stimmenstärksten Partei Frankreichs machte, nimmt sie Kurs auf die Präsidentschaftswahlen von 2017.

Auf dem Weg liegt allerdings ein Stolperstein: Ihr Vater Jean-Marie Le Pen kann es offensichtlich nicht verdauen, dass ihm seine Tochter in der von ihm gegründeten Partei mehr und mehr den Rang abläuft. Denn auch wenn sie seit 2011 Parteichefin ist, bleibt er mehr als der Ehrenpräsident: Jean-Marie Le Pen ist der Front National.

Daran erinnerte er am Wochenende mit seinem neuesten antisemitischen Ausfall, der die Mäßigungstaktik seiner Tochter als bloßes Politmarketing entlarvt. Eine "Ofenladung" werde er aus dem (jüdischen) Sänger und FN-Gegner Patrick Bruel machen, höhnte er, so wie er vor Jahren das Wortspiel mit Minister "Durafour-Crématoire" erfunden hatte und dabei auf die Verbrennungsöfen (four-crématoire) der Nazis anspielte.

Mit seiner neuen Ofenladung Schmutz sabotiert er nicht zum ersten Mal den Vormarsch seiner dritten Tochter. Vor der Europawahl hatte er gespottet, der Ebola-Virus werde das Bevölkerungsproblem Afrikas "in drei Monaten von selbst lösen". 2005 – ein Jahr, nachdem seine Tochter ins Europaparlament eingezogen war –, meinte er, die Nazi-Besatzung Frankreichs sei nicht "besonders unmenschlich" gewesen.

Jetzt hat Marine Le Pen erstmals widersprochen und die väterliche Provokation als "politischen Fehler" bezeichnet. Als sei sie dabei zu weit gegangen, relativierte sie aber im gleichen Atemzug, es sei eine "bösartige Interpretation", ihrem Vater Antisemitismus zu unterstellen. Die 45-jährige Tochter weiß, dass sie nicht zu weit gehen kann.

Rufe aus ihrem jüngeren Anhängerkreis, "der Alte" (so sein Übername) solle ganz in den politischen Ausstand treten oder zumindest den Mund halten, überhört sie geflissentlich. Das trägt ihr den Vorwurf ein, die Familie Le Pen spiele bewusst auf zwei Registern: Die Tochter gebe sich salonfähig und schließe FN-Mitglieder mit SS-Tätowierungen aus der Partei aus, während der Vater den Rassisten im Land ein Sprachrohr gebe.

Der Vorwurf dürfte heute nicht mehr berechtigt sein: "Marine" legt seit langem keine Herzlichkeit mehr für "Jean-Marie" an den Tag; sie wäre zweifellos erleichtert, wenn Papa die politische Bühne verlassen würde.

Doch der bleibt rhetorisch fit und denkt nach seiner Wiederwahl ins Europarlament nicht an einen freiwilligen Rücktritt. Wegdrängen lässt sich der 85-jährige FN-Patriarch schon gar nicht. Dafür verkörpert der "Teufel", wie ihn die südfranzösische Regionalzeitung "Midi Libre" am Dienstag nannte, zu sehr die Partei.

Und ihre alten Dämonen. So zeitgeist- und sozialbewusst sich Marine Le Pen gibt: Die Wurzeln ihrer Partei reichen tief zurück in den Faschismus à la française, etwa zur antisemitischen und teils monarchistischen „Action Française“, dann aber auch zum Vichy-Regime des Nazi-Kollaborateurs Philippe Pétain.

"Der FN", meint der Politologe Thomas Guénolé unumwunden, „ist eine pétainistische Partei." Das gelte nicht nur für das politische Programm, sondern sogar für gemeinsame Embleme wie das der Jeanne d'Arc: Sie weihte symbolisch das Treffen Hitlers und Pétains im Oktober 1940; und ihrer Goldstatue in Paris erweisen die Frontisten bis heute jedes Jahr feierliche die Ehre. Le Pen, selbst zu jung für eine Weltkriegsbeteiligung, nahm 1972 eine Reihe Vichy-Kollaborateure in seine neue Partei auf.

Ebenso wichtig für den FN ist der Algerienkrieg, an dem Le Pen in den Fünfzigerjahren selbst als Offizier – und laut Zeitzeugen auch als Folterer – teilnahm. Seine Partei war von Beginn an ein wichtiges Auffangbecken für Algerien-Heimkehrer, die sogenannten Pieds Noirs ("Schwarzfüße"), und kolonialistische Nostalgiker der "Algérie Française". Dass die Frontisten vor allem in Südfrankreich stark sind, geht auf diese Zeit zurück. Selbst die erst 24-jährige Marion Maréchal-Le Pen, die als Nichte der Parteichefin für die dritte Generation der Familiendynastie steht, wurde 2012 dank dieser südfranzösischen Wählern in die Nationalversammlung gewählt.

Auch Marine Le Pen kann sich ihnen nicht verschließen. Dass die Geschichte in Frankreich mehr als anderswo in der Politik weiterlebt, gilt ebenso für den FN. Und deshalb wird auch der Übervater der Partei, so alt er biologisch werden mag, noch lange leben. (Stefan Brändle, derStandard.at, 10.6.2014)