Wien - Obdachlosigkeit sei eine der tiefsten persönlichen Krisen, sie erschüttere auch die Rolle der Betroffenen als Eltern tief, sagt Marc Diebäcker, Professor für soziale Arbeit an der Fachhochschule für Soziale Arbeit (FH) Campus Wien. Die Sorge für Kinder werde jedoch weiterhin vor allem Müttern zugeschrieben, weshalb die Situation wohnungsloser Väter in Österreich bisher wissenschaftlich noch nicht erkundet worden sei.

Daher hat das FH-Campus-Wien-Projekt "Vatersein in der Wohnungslosenhilfe", an dem Diebäcker mit Yann Arhant und Roswitha Harner arbeitet, Pioniercharakter: Acht Männer wurden interviewt, die ohne Familie in zwei Wiener Obdachloseneinrichtungen leben. Die Gespräche sollen Aufschluss über deren Eigenbild als Väter bringen und Vorschläge machen, um den Kinderkontakt zu verbessern.

Selbstbild zusammengebrochen

"Die Männer empfinden ein extremes Gefühl des Scheiterns. Ihr vorheriges Selbstbild als Väter und Familienernährer ist meist völlig zusammengebrochen", schildert Diebäcker, der dem Standard anlässlich des Vatertags am Sonntag Zwischenergebnisse präsentierte. Paradoxerweise würden diese Männer im Umgang mit den Kindern aber "mehr Fürsorglichkeit als früher" an den Tag legen, würden sich intensiver um den Nachwuchs kümmern. Jedoch nur vorübergehend: "Ihr Ziel ist eindeutig, wieder Ernährer einer Kleinfamilie zu werden."

Um mit diesen changierenden Rollenvorstellungen zurechtzukommen, brauchten obdachlose Väter spezifische Unterstützung, schließt Diebäcker daraus. Und es brauche kindgeeignete Begegnungsräume, auch in den Wohnungsloseneinrichtungen für Männer. Letztere wurden etwa im Wiener Heim Gänsbachergasse des Fonds Soziales Wien 2012 eingerichtet, mit äußerst positivem Feedback, wie es dort heißt. Das Endergebnis des FH-Projekts wird im Herbst präsentiert. (Irene Brickner, DER STANDARD, 7.6.2014)