Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/F.OPLL/M.SCHEUTZ

Wien - Im oberösterreichischen Stift Schlierbach wurde der älteste moderne Stadtplan Wiens wiederentdeckt, entworfen von Job Hartmann von Enenkel im Jahr 1622. Das Besondere daran: Als erste Ansicht Wiens ist er nach Norden ausgerichtet, wie der Historiker Martin Scheutz erklärt. Vermutlich sollte der Plan die Standorte adeliger Freihäuser - also rechtlich nicht zur Stadt gehörender Gebäude innerhalb ihrer Mauern - anzeigen und damit potenzielle Steuereinnahmequellen finden.

Besonders um die beiden Türkenbelagerungen Wien 1529 und 1683 seien laut dem Historiker von der Universität Wien zahlreiche Pläne der Stadt entstanden - dazwischen gebe es jedoch kaum Karten. Aber nicht nur das macht den sogenannten "Schlierbach-Plan" besonders: "Vor dem Entwurf Enenkels waren Stadtpläne meist gesüdet - also nach Süden ausgerichtet. Oder sie konzentrierten sich auf thematische Schwerpunkte und rückten etwa Jerusalem ins Zentrum", so Scheutz. Die moderne Art der Kartografie, die Realität nach Norden ausgerichtet abzubilden, nahm der protestantische Adelige vermutlich aus seinen Italienreisen mit.

Buchpräsentation folgt

Zusammen mit dem langjährigen Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs Ferdinand Opll untersuchte Scheutz den "Schlierbach-Plan". Ihre Ergebnisse haben sie in Buchform zusammengefasst: "Der Schlierbach-Plan des Job Hartmann von Enenkel. Ein Plan der Stadt Wien aus dem frühen 17. Jahrhundert" (Böhlau) wird kommenden Mittwoch in Wien präsentiert. In den Besitz des Stifts Schlierbach gelangte der Plan vermutlich über den Ankauf eines Nachlasses.

Zwar abstrahiere Enenkel die Stadtansicht stark, besonders auffällig seien allerdings die Kirchen, Festungsanlagen sowie die minutiös eingetragenen Stadtpalais und Freihäuser der Adeligen. So finden sich etwa in der Herrengasse zahlreiche Hausnummern, darunter Adressen wie "Graf ortenburgisch freihaus" oder "Da der wolf den gensen predigt".

Finanzieller Hintergrund

"Diese Aufstellung legt die Vermutung nahe, dass der Plan dazu genutzt werden sollte, den Bestand an adeligen Freihäusern zu erheben", meinte der Historiker. Denn im gespannten Verhältnis zwischen Kaiserhaus und Adeligen kurz nach Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs fehlte der Wiener Stadtverwaltung eine Aufstellung aller adeligen Freihäuser. "Diese waren durchaus ambivalent besetzt: Einerseits hieß man die Adeligen als kaufkräftige Kundschaft willkommen, andererseits zahlten sie keine Steuern", erklärte Scheutz. Ein Umstand, der der Stadtverwaltung durchaus ein Dorn im Auge gewesen sei.

Die Historiker faszinierte aber nicht nur die früheste bisher bekannte genordete Darstellung, sondern auch viele kleine Details: So sind etwa die Schottenkirche vor dem Umbau oder das Arsenal abgebildet, beides seltene Bilder. Oft seien Pläne und Karten auch dazu genutzt worden, bestimmte Vorstellungen zu transportieren - das sei bei Enenkels Stadtansicht jedoch nicht der Fall. Stattdessen zeichnete der Adelige parzellengenau und brachte etwa öffentliche Gebäude wie Bäder oder das Landhaus unter.

Eine wichtige Rolle spielten auch die Befestigungen der Stadt, von denen heute in Wien etwa noch die Mölkerbastei über geblieben ist. "Wien war nicht nur Residenz-, sondern auch Festungsstadt", meinte der Historiker. Die Stadtmauern bildeten gleichzeitig auch die Stadtgrenzen, die in etwa mit den Grenzen des heutigen 1. Bezirks übereinstimmten. "Für einen Autodidakten ist die Karte jedenfalls auf hohem Niveau gezeichnet", erklärte Scheutz. Denn professioneller Kartograf war Enenkel keiner: Wie viele andere Adelige auch, war das Zeichnen von Plänen Teil seiner breiten Ausbildung und vermutlich lieb gewonnener Zeitvertreib. (APA/red, derStandard.at, 6. 6. 2014)