Eine lunare Brekzie, aus Trümmern bestehendes Gestein. Nach Analysen verschiedener Proben von Mondgestein sehen Forscher die Hypothese gestützt, dass unser Mond aus einer kosmischen Kollision hervorgegangen ist.

Foto: Addi Bischoff, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Göttingen – Eine Reihe von Massenaussterbeereignissen, eine annähernde Totalvereisung von Pol zu Pol vor 700 Millionen Jahren und noch weiter zurück ein 300 Millionen Jahre anhaltendes Trommelfeuer einschlagender Asteroiden: Die Erde hat im Verlauf ihrer Geschichte einiges über sich ergehen lassen müssen. All diese Ereignisse sind aber nur Randnotizen im Vergleich zu dem, was ihr vor 4,5 Milliarden Jahren widerfahren sein soll – eine Kollision mit einem planetengroßen Himmelskörper, durch die letztlich der Mond entstand.

So jedenfalls lautet eine der heute verbreitetsten Hypothesen zur Entstehung des Mondes, und sie kann auch mit einem Namen aufwarten: Theia, hergeleitet von der Mutter der griechischen Mondgöttin. In diesem Szenario kollidierte der Protoplanet Theia mit der Protoerde, die damals erst etwa neun Zehntel ihrer heutigen Masse hatte. Ein Teil Theias wurde von der Erde absorbiert, der Rest formte sich zusammen mit Material, das von der Erde abgesprengt wurde, zum Mond.

Zu zentralen Eigenschaften Theias wie Größe oder Bahngeschwindigkeit ist man aufs Spekulieren angewiesen. Das eigentliche Problem an der Hypothese ist aber, dass sich die Himmelskörper im Sonnensystem in ihren Isotopenzusammensetzungen voneinander unterscheiden, wie man seit Analysen von Meteoriten weiß. Nur Erde und Mond gleichen einander fast wie Zwillinge. Und das widerspricht der These, dass der Mond  zum größeren Teil aus Theia-Material bestehen sollte.

"Apollo“-Erbe untersucht

Diesen Widerspruch könnte nun eine im Wissenschaftsmagazin "Science" veröffentlichte Studie auflösen. Forscher mehrerer deutscher Universitäten untersuchten Mondgestein und konzentrierten sich dabei insbesondere auf das Verhältnis der Sauerstoffisotopen. Dabei konnten sie nicht nur auf präzisere Analysemethoden zurückgreifen als bei früheren Untersuchungen. Sie erhielten von der NASA auch Proben zur Verfügung gestellt, die bei "Apollo“-Missionen eingesammelt worden waren. Diese Proben sind aussagekräftiger als Mondmeteoriten, die irgendwann zur Erde stürzten und danach Verwitterungsprozessen ausgesetzt waren.

Und tatsächlich zeigten die neuen Analysen einen Unterschied zwischen Mond- und Erdgestein, der zuvor nicht aufgefallen war: Vor allem eine minimale Abweichung in der Häufigkeit des Sauerstoffisotops 17O, die Studienleiter Daniel Hewartz von der Universität Göttingen nichtsdestotrotz für signifikant hält. Wenn die Unterschiede im Aufbau von Erde und Theia nicht allzu drastisch sind, dann kann dies auch daran liegen, dass sich die beiden angehenden Planeten in derselben Region der ursprünglichen protoplanetaren Scheibe um die Sonne gebildet haben.

Wie schnell der Entwicklungsprozess von einer Staubballung über ein sogenanntes Planetesimal bis zu einem bereits kugelförmigen Protoplaneten abgelaufen sein kann, zeigt eine weitere, ebenfalls in "Science" veröffentlichte Studie. Ein internationales Forscherteam kommt darin nach der Analyse von Eisenmeteoriten zu dem Schluss, dass sich die Kerne künftiger Planeten schon 0,6 bis zwei Millionen Jahre nach der Geburt des Sonnensystems herausbildeten.

Das frühe Sonnensystem war also rasch voller immer größer werdender Objekte, die sich noch weit von einem Gleichgewicht entfernt befanden. Zusammenstöße ereigneten sich bedeutend häufiger als in späterer Zeit.

Die Erde überstand das schlimmste dieser Ereignisse vor 4,5 Milliarden Jahren bei der Kollision mit Theia und der Abspaltung des Mondes, die Hewartz nun als „ziemlich sicher“ bestätigt sieht. Spätere Kollisionen mögen die Lebensbedingungen an der Erdoberfläche mehrfach einschneidend verändert haben – für unseren Planeten selbst blieben sie unbedeutend. (Jürgen Doppler, DER STANDARD, 6. 6. 2014)